Report: Zuwanderung - „Krisenintervention statt Sozialarbeit“
Duisburg (dpa) - „Ich möchte mit meiner neunköpfigen Familie nicht leben wie ein Hund“, sagt Stefan. Nicht in Rumänien, das er als Roma wegen bitterer Armut und Diskriminierung verlassen hat.
Und auch nicht in Deutschland. Der 45-Jährige, der seinen vollen Namen nicht nennen will, ist vor mehr als einem Jahr nach Duisburg gekommen.
Bis auf ein paar Wortfetzen spricht er nur Rumänisch, das aber wie ein Wasserfall: Dem Sozialarbeiter Murat Yasar vom Familienhilfeverein „ZOF - ZukunftsOrientierteFörderung“, der zum Übersetzen mitgekommen ist, vertraut Stefan. Entschlossen mit seinen kräftigen Armen gestikulierend erzählt der Mann von der Not in der alten Heimat und von der Hoffnung auf ein besseres Leben im wohlhabenden Deutschland. „Ich mag vielleicht ungebildet sein, aber hier gibt es doch auch einfache Arbeit. Ich kann doch Kartoffeln ernten“, übersetzt Yasar.
Er sei kein Schmarotzer, das will Stefan deutlich machen. „Wenn jemand hier in den Hof kommt und Arbeit anbietet, würden sich alle darum reißen. Nur kommt niemand.“ Für die Zuwanderer aus Südosteuropa sei Deutschland das gelobte Land, berichtet Yasar später.
Stefan lebt seit Herbst 2012 in Duisburg, in den Häusern, die es als sogenannte Problemhäuser zu trauriger Berühmtheit geschafft haben. 700 Menschen leben mitten in einem gutbürgerlichen Viertel in einem überfüllten, verwahrlosten Wohnkomplex, überwiegend Roma aus Rumänien, berichtet Yasar. Das Licht im Hausflur funktioniert nur auf wenigen Etagen, durch Fenster mit zerschlagenen Scheiben pfeift der Wind. Bis im Frühjahr will der Vermieter die Wohnungen räumen lassen.
Wer in der hitzig geführten Debatte um Armutszuwanderung nach einem griffigen Beispiel sucht, verweist gern auf Duisburg: Viele der Zuwanderer, die hier stranden, sind nicht Durchschnitts-Osteuropäer, die den Arbeitsmarkt bereichern könnten. „Mein Zahnarzt ist auch Rumäne“, sagt Yasar. „Aber wir reden hier auch von Menschen ohne Schulbildung, die aus ärmsten Verhältnissen stammen.“
Elisabeth Pater, Leiterin des kommunalen Integrationszentrums, erläutert, warum gerade Duisburg zu einem vorrangigen Ziel für die besonders Armen geworden sei: „Wir haben in Duisburg Vermieter, die strukturell die missliche Lage der Armutsflüchtlinge ausnutzen.“ Ohne finanzielle Absicherung bleiben auf dem Wohnungsmarkt nur die Behausungen, die niemand will: „Das sind nicht selten Häuser, deren Zustand andere Mieter abschreckt“, so Pater. Und Yasar erklärt: „Und wenn der Onkel schon mal hier lebt, ziehen immer mehr nach.“
Die Stadt Duisburg ächzt unter den Belastungen, die der massive Zuzug der Armen bedeutet. Nach Angaben der Verwaltung sind hier inzwischen 10 000 Bürger aus den neuen EU-Ländern offiziell erfasst - ein großer Teil Armutszuwanderer heißt es. Die klamme Kommune fordert schon lange „Soforthilfe“ von Bund und Ländern. In einem Brief mehrerer Kommunen vom November an die Bundesregierung ist die Rede von einem „sich aktuell verstärkenden Zuzug von Menschen, die aus prekären Verhältnissen stammend auch hierzulande in prekären Verhältnissen leben“.
Eduard Pusic, Projektleiter bei „ZOF“, findet eine deutlichere Sprache: „Wir machen hier keine Sozialarbeit im klassischen Sinne. Wir machen Krisenintervention“, sagt er. „In Busladungen kommen sie hier an, nur mit dem Nötigsten am Leib.“
Pusic benennt auch die Probleme, die die Häuser zum besonderen Brennpunkt Duisburgs gemacht haben: Fehlende Bildung und zum Teil archaische Clanstrukturen führten immer wieder zu enormen Konflikten im Umfeld. „Auch die Erschleichung von Kindergeld ist eine Tatsache in vielen Familien. Da werden Kinder angemeldet, die es gar nicht gibt“, so Pusic. Kriminalität - die Polizei nennt Diebstahldelikte als häufigstes Problem -, Prostitution, Müll und Lärm, Hygiene-Missstände seien kaum in den Griff zu kriegen. Regelmäßig treffen sich die Sozialarbeiter mit Vertretern der Stadt, von Jugend- und Ordnungsamt, versuchen gemeinsam wieder Herr der Lage zu werden.
Vieles werde getan für die Zuwanderer, aber das könne immer nur ein Anfang sein, sagt Pater: Im vergangenen Jahr gab die Stadt eine Million Euro zusätzlich für die Integrationsarbeit aus, bezahlte Impfaktionen, verstärkte die Präsenz des Ordnungsamtes, richtete Vorbereitungsklassen für Schulkinder ein. In diesem Jahr sollen 360 Erwachsene für den einfachen Arbeitsmarkt fit gemacht werden.
„ZOF“ ist ein wichtiger Partner vor Ort. Die Mitarbeiter haben lange um das Vertrauen der Zuwanderer werben müssen. An diesem Januartag hat Sozialarbeiter Yasar in der Teestube vor 40 Familienvätern über die neuen Regelungen und Möglichkeiten durch die Freizügigkeit gesprochen. Yasar, der neben Deutsch und Türkisch auch Rumänisch spricht, begleitet immer wieder Neuankömmlinge zu Behörden, besucht die Familien, ermahnt Mütter und Väter, ihre Kinder zur Schule zu schicken statt zum Betteln.
Nach dem Besuch in der Vierzimmerwohnung sagt Yasar: „Stefan gehört zu vielleicht einem Bruchteil von fünf Prozent der hier Lebenden, die überhaupt Chancen auf einen Job haben.“ Und seine Kinder? „Sie gehen alle zur Schule oder in den Kindergarten“, sagt Yasar und klingt auch ein wenig stolz auf diesen kleinen Erfolg.