Reportage: New Yorker trotzen „Sandy“

New York (dpa) - Nichts geht mehr in New York. Eigentlich hätte die Millionenmetropole am Montag wie üblich in eine hektisch-stressige Arbeitswoche starten sollen, doch stattdessen Stillstand.

Der befürchtete Monstersturm „Sandy“, der mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 140 Kilometern pro Stunde in seinem Innern auf die Stadt zuwirbelt, hat das öffentliche Leben lahmgelegt, und eine seltsam-bedrohliche Ruhe vorausgeschickt. Zunächst gibt es am Montagmorgen (Ortszeit) in New York nur dicke graue Wolken, Regen und hin und wieder eine stärkere Windböe, aber am Abend soll der Sturm Meteorologen zufolge mit voller Wucht auf die US-Ostküste treffen.

„Das ganze System ist stillgelegt“, steht in dicker roter Schrift auf Bildschirmen an allen 468 U-Bahnhöfen. Gittertüren versperren die Zugänge, rote Bänder flattern davor im Wind. Busse, Fähren und Regionalzüge waren schon am Sonntagabend vorsorglich in die Depots gebracht worden. Am Montagnachmittag (Ortszeit) sollen zudem einige Tunnel geschlossen werden. Auch die Vereinten Nationen, die Börse an der Wall Street, Schulen, Universitäten, Theater, Opern sowie viele Büros und Geschäfte lassen ihre Türen zu.

Zahlreiche kleinere Lebensmittelläden und Restaurants bleiben jedoch offen - und sind brechend voll. „Wir mussten sogar extra Personal reinbestellen, weil wir nicht gedacht hätten, dass so viele Menschen zum Frühstück kommen“, sagt ein Kellner in einem Café im schicken Viertel Upper East Side. „Aber die Menschen haben eben frei heute und so schlimm ist das Wetter ja noch nicht, da gehen sie eben erstmal frühstücken in ein Café, das sie zu Fuß oder mit dem Taxi erreichen können.“

Auch einige andere Geschäfte hatten schon am Sonntagabend mit Zetteln im Schaufenster trotzig angekündigt, dass sie öffnen werden - „Sandy“ hin oder her. „Wir haben am Montag offen“, steht an einem Spielwarengeschäft. „Und ja - wir haben Batterien.“ Ein Schuhladen preist groß seine „für alle Wetter geeigneten Stiefel“ an und ein Modeladen nebenan fordert seine Kunden auf: „Passt auf euch auf - und kommt zu uns einkaufen.“

Auf den Straßen ist das drohende Jahrhundert-Unwetter das alles beherrschende Thema. „Ich finde es gut, dass die Behörden mit so viel Vorsicht an die Sache herangehen“, sagt ein Mann. „Besser Vorsicht als Nachsicht. Ich selber habe mich auch schon mit Vorräten eingedeckt, aber ich mache mir eigentlich keine Sorgen, denn ich wohne im neunten Stock.“ Gespräche werden überall mit „Stay safe“ (Pass auf dich auf) beendet. Fast 400 000 Menschen in tiefer gelegenen Regionen der Millionenmetropole mussten ihre Häuser und Wohnungen verlassen und sind in Notunterkünften untergekommen.

In vielen Supermärkten und Drogeriegeschäften sind Wasserflaschen, Dosen mit haltbaren Lebensmitteln, Taschenlampen und Batterien ausverkauft. „Hier war ein Wahnsinnsbetrieb“, sagt ein Verkäufer in einem Haushaltswarenladen. „Die Menschen haben immer nur nach Taschenlampen, Batterien, Campingkochern und sowas gefragt. Wir haben unser ganzes Lager leer geräumt.“ Sie habe nirgendwo mehr Kerzen bekommen, beklagt sich eine Kundin. „Aber es wird schon auch so gehen.“ Den sturm- und chaoserprobten New Yorkern kann auch „Sandy“ nicht wirklich Panik einflößen. „Wir haben schon so viel überstanden hier“, sagt ein Mann. „Das werden wir auch noch schaffen.“ Die Angst vor dem Monstersturm ist mitten in den US-Wahlkampf geplatzt - und mitten in die Vorbereitungen auf das in Amerika sehr beliebte Halloween-Fest am Mittwoch. „Es wäre wirklich schade, wenn meine Kinder nicht um die Häuser ziehen und Süßigkeiten sammeln könnten“, sagt eine Frau - und ergänzt dann mit Galgenhumor: „Aber andererseits - das wird dieses Jahr endlich mal ein wirklich gruseliges Halloween.“