Rückendeckung für Tsipras - Aber Rebellen in eigenen Reihen
Athen (dpa) - Eine seltsame Konstellation: Alexis Tsipras hat keinen Oppositionsführer zu fürchten, der griechische Ministerpräsident erhält im Parlament mit seinen Spar- und Reformvorschlägen eine so breite Unterstützung, wie kaum ein Regierungschef zuvor in der jüngeren Geschichte des Landes.
Aber trotzdem steht seine Regierung auf wackeligen Beinen. Teile seiner linken Regierungspartei Syriza wollen die Kehrtwende von Tsipras, der bisher als Gegner von Einsparungen in Erscheinung getreten war, nicht mitmachen. 17 Syriza-Abgeordnete vom linken Flügel stimmen gegen die Sparvorschläge, enthalten sich oder nehmen gar nicht erst an der Abstimmung teil.
Von den 162 Parlamentariern aus dem Regierungslager folgen am frühen Samstagmorgen nur 145 dem Aufruf des Regierungschefs, ihm ein Mandat zu Verhandlungen über ein neues Hilfsprogramm zu erteilen. Das sind sechs weniger als die zum Regieren erforderliche Mehrheit von 151 Abgeordneten. „Die Regierung macht bankrott, jetzt muss Griechenland gerettet werden“, schlägt das konservative Blatt „O Eleftheros Typos“ Alarm.
Unter den Abtrünnigen im Regierungslager sind unter anderem die Parlamentspräsidentin Zoi Konstantopoulou und der Anführer des Syriza-Linksflügels, Energieminister Panagiotis Lafazanis. „Ich stütze die Regierung (...) aber nicht die Sparprogramme, die zur Fortsetzung der Armut führen“, erklärt er. Ex-Finanzminister Gianis Varoufakis erscheint gar nicht erst im Parlament und unternimmt stattdessen mit seiner Frau und seiner Tochter einen Wochenendausflug auf die Ferieninsel Egina. Weitere 15 Syriza-Abgeordnete erklären, sie hätten nur „schweren Herzens mit „Ja“ gestimmt“, weil sie Tsipras angesichts der Verhandlungen in Brüssel nicht schwächen wollen.
Der Verlust der Regierungsmehrheit wird zunächst keine konkreten Folgen für Tsipras haben. Drei Parteien der Opposition verhelfen ihm mit den Sparvorschlägen zu einer satten Mehrheit. Ein Misstrauensantrag ist nicht geplant. Allerdings wird Tsipras nicht so tun können, als wäre nichts gewesen, und einfach zur Tagesordnung übergehen. Er selbst kündigt an, dass er sich dieses Themas annehmen werde - aber erst, wenn es eine Einigung mit den Geldgebern gebe.
Die Abstimmung zeigt, dass Tsipras in einer Frage, die für das Land fast von lebenswichtiger Bedeutung ist, sich nicht auf sein eigenes Lager verlassen kann. Die Zeitung „To Ethnos“ spricht von „Untergrundkämpfern bei Syriza“, „Ta Nea“ gar von einem „nächtlichen Putsch in der Regierungspartei“.
Es gärt nicht nur in der Syriza-Fraktion, sondern auch beim kleinen Koalitionspartner Anel. Nur mit harschen Worten gelingt es dem Parteichef der Rechtspopulisten, Panos Kammenos, seine Fraktion zur Zustimmung zu bewegen. „Von uns hängt es ab, ob es am Montag noch ein Griechenland geben wird“, beschwört er seine Parteifreunde.
Die Spannungen im Regierungslager dürften spätestens dann neu aufbrechen, wenn konkrete Gesetze wie das Anheben des Rentenalters oder die Erhöhung der Mehrwertsteuer beschlossen werden müssen. Solche Maßnahmen hatte Syriza bis vor kurzem strikt ausgeschlossen.
Zur Sicherung einer stabilen Mehrheit hat Tsipras nach Ansicht von Beobachtern verschiedene Möglichkeiten: Er könnte die Abweichler an ihre Ehrenerklärung erinnern, wonach sie bei einem Konflikt mit der Parteilinie ihre Abgeordnetenmandate zurückgeben. Oder er könnte einen neuen Koalitionspartner wie die liberale Partei Potamos (Fluss) in die Regierung aufnehmen, eine Regierung der nationalen Einheit bilden oder Neuwahlen ansetzen. Welchen Weg der Regierungschef einschlagen wird, ist nicht abzusehen.
Die Parlamentsdebatte zeigt jedenfalls, dass in der Politik Griechenlands eine neue Zeit angebrochen ist. Mit Ausnahme der rechtsradikalen Goldenen Morgenröte und der Kommunisten könnte jede Partei mit jeder koalieren. Zwischen den Fraktionen tun sich keine unüberwindbaren Gräben mehr auf.
„Kommen Sie aus Brüssel auf jeden Fall mit einer Einigung zurück!“, fordert der konservative Oppositionsführer Evangelos Meimarakis den Regierungschef auf. Danach reicht er Tsipras freundlich die Hand. Eine solche Szene hat es im Athener Parlament seit langer Zeit nicht gegeben. „To Ethnos“ sieht in der Rückendeckung der Opposition für den Regierungschef ein historisches Ereignis: „Griechenland ist seit dieser Nacht ein anderes Land geworden als das, was wir bisher gekannt hatten.“