Schöne Bescherung: Die Bahn schleicht zum Fest
Berlin/Hannover (dpa) - Schon die erste Lautsprecherdurchsage im gestoppten ICE 942 klingt wie ein Offenbarungseid: „Im Moment habe ich noch keine Information wann es weitergeht, wie es weitergeht und wann wir wo ankommen“, schallt es von der Decke in die Waggons.
Dort ist es so gerammelt voll, dass Fahrgäste selbst im 1.-Klasse-Abteil auf dem Boden hocken oder sich im Gang die Beine in den Bauch stehen.
Auslöser für die teils chaotischen Szenen: Ausgerechnet an Heiligabend legten vereiste Oberleitungen die wichtige Ost-West-Achse Berlin-Hannover für Stunden lahm. Am Morgen war die Strecke komplett gesperrt und auch danach krochen die Schnellzüge meist nur im Schneckentempo voran.
„Man muss es nehmen, wie es kommt“, sagt die 21-jährige Berliner Studentin Carina und lässt einen Mann über ihre Knie klettern. „Ich wollte extra früh von Berlin nach Braunschweig fahren. Das haben doch alle geraten.“ Nun ist es 11.00 Uhr und der Zug ist erst bei Stendal - und niemand weiß, wie lange der Zug noch bis Braunschweig braucht.
Ein 41-Jähriger Fahrgast flucht, er wolle nie mehr Bahn fahren - seinen Namen will er allerdings nicht nennen. Doch wütende Menschen wie er sind selten. Die Mehrheit nimmt es gelassen. „Die Bahn kann ja auch nichts dafür, wenn Eisregen kommt. Die können die Leitung ja schlecht überdachen“, meint Edith Wagner aus Peine. Die 64-Jährige war vor Weihnachten zu Besuch in Berlin. „Wann wir heut zurückkommen, ist nicht so wichtig.“
Dann sagt der Zugchef durch, dass wegen des Schnees in Wolfsburg Endstation für alle Reisenden sei. Doch plötzlich geht es weiter - ohne Ansage. Ein Schaffner lässt sich während der ganzen Fahrt nicht blicken. Der obligatorische Getränke- und Snackwagen wäre in den proppevollen Gängen eh' keinen Meter weit vorangekommen. Dort reiben sich die auf dem Boden kauernden Passagiere die Knie oder drücken ihre schmerzenden Rücken durch.
Ein gutes Stück vor Hannover meldet sich der Zugchef per Lautsprecher erneut: „Leider liegen mir keine Informationen zu Anschlusszügen vor. Ich wünsche ein schönes Weihnachtsfest, auf Wiedersehen.“ Die meisten Fahrgäste quittieren das nur mit einem müden Lächeln. In Hannover fährt der Zug schließlich mit knapp zwei Stunden Verspätung ein.
Und der ICE 942 soll ja noch weiter, nach Köln. Der Lokführer schaut kurz aus dem Fenster und sagt, vor ein paar Jahren habe er das auf derselben Strecke schon einmal erlebt. Ihm sei bange, er müsse mit dem Zug ja später wieder zurück nach Berlin. „Hoffentlich klappt's.“