Analyse Schulz ante portas
Berlin (dpa) - Die ungelöste K-Frage treibt bei der SPD interessante Blüten. Am Donnerstagmorgen liefern sich Martin Schulz und Sigmar Gabriel eine Art Fernduell in dem sozialdemokratischen Wettbewerb, wer im nächsten Jahr Angela Merkel herausfordern muss.
Während Schulz in seinem geliebten Brüssel in die Kameras sagt, dass er Ende Januar als EU-Parlamentspräsident aufhören muss (weil die Konservativen ihn nicht mehr wollen) und seine Karriere in Berlin fortsetzt, steht Gabriel zeitgleich am Rednerpult im Bundestag. Beide SPD-Alphatiere zeigen, was sie können.
Schulz verkündet seinen Wechsel in die Bundespolitik dreisprachig - auf Deutsch, Englisch und Französisch. Er kann auch Spanisch und Italienisch, aber das lässt er bleiben. Leidenschaftlich wirbt der 60-jährige Ex-Buchhändler noch einmal für das vereinte Europa. Die EU sei das größte zivilisatorische Projekt der vergangenen Jahrhunderte.
So einer ist doch der ideale Mann für den Posten des Außenministers, den der Bald-Präsident Frank-Walter Steinmeier freimacht und die SPD besetzen muss? So dürfte es auch kommen, wie einflussreiche Genossen berichten. Aber wird Schulz, der auf Platz 1 der NRW-SPD im nächsten Jahr für den Bundestag kandidiert, auch Spitzenmann im Wahlkampf?
Das kann nur einer aufklären. Gabriel. Der schweigt. Der Vizekanzler lobt Schulz („Schlechte Nachricht für Europa, gute für Deutschland“) und lässt ausrichten, dass es beim zu Wochenanfang bekräftigten Fahrplan bleiben soll: Auflösung der K-Frage Ende Januar. Daran glauben selbst Optimisten in der SPD nicht wirklich. Die Genossen haben kein gutes Händchen bei der Kandidatenkür. 2009 (Steinmeier) und 2013 (Peer Steinbrück) ging es schief, heraus kamen jeweils „Sturzgeburten“, die die Partei nachhaltig traumatisierten.
Auch dieses Mal könnte Gabriel tatsächlich auf einen günstigen Moment vor Januar warten, wenn er die öffentliche Bühne für sich allein hat. Am 2. Dezember wollen die Chefs der Supermarktketten Edeka und Rewe die endgültige Aufteilung von Kaiser's Tengelmann bekanntgeben. Gabriel - und auch Altkanzler Gerhard Schröder als Schlichter - moderierte den Deal.
Die Sicherung von 15 000 Arbeitsplätzen wäre nach dem Steinmeier-Coup für Gabriel ein weiterer wichtiger Baustein, um seiner Partei zu zeigen: Ja, ich kann es. Oder Gabriels Rivalen Andrea Nahles und Olaf Scholz führen eine raschere Entscheidung in der K-Frage herbei.
Gabriel zögert seit langem. Er kennt die Vorbehalte in den eigenen Reihen. Und auch seine mäßige Beliebtheit bei den Bürgern. Im Wahltrend von Stern/RTL würde Gabriel derzeit bei einer Direktwahl 15:50 gegen Merkel verlieren. Schulz käme immerhin auf 27 Prozent. Als Kanzlerkandidat wäre Schulz vom konservativen Flügel aber für die eigene Partei eine „Black Box“. Niemand wisse so richtig, wie er innenpolitisch aufgestellt sei, heißt es bei SPD-Linken.
Würde Gabriel die Kandidatur Schulz überlassen, ginge er ein erhebliches Risiko ein. Dann könnte über kurz oder lang der Parteivorsitz wackeln. Und dieses Amt ist Gabriel am wichtigsten. Das innige Verhältnis von Gabriel und Schulz soll zuletzt zwar gelitten haben. Schulz' große Ambitionen und seine Werbetour in Berlin in eigener Sache sollen Gabriel missfallen haben.
Dennoch ist nun eine Tandemlösung im Wahlkampf durchaus denkbar. Schulz, der „Weltpolitiker aus Würselen“, könnte an der Seite der Kanzlerin den Trumps, Erdogans und Le Pens die Stirn bieten und für die SPD punkten. Gabriel, das „political animal“ aus Goslar mit dem Riecher für die Themen, würde den Wahlkampf innenpolitisch von vorne führen.
Im Bundestag liefert Gabriel am Donnerstag einen starken Auftritt ab. Ruhig, ohne Schaum vor dem Mund, warnt er davor, die Kommunen und kleinen Leute zu vergessen. „Nicht nur die Kirche muss im Dorf bleiben, sondern zum Beispiel auch die Grundschule.“ Verwahrloste Städte und Gemeinden schafften verwahrloste Köpfe und Seelen.
Auch der Union gibt Gabriel einen mit. Deren „gigantische Steuersenkungsversprechen“ von bisher 15 Milliarden Euro jährlich seien nicht finanzierbar. „Maß und Mitte“ seien nötig. Da blitzt der Wahlkämpfer durch, den die Union fürchtet. Merkel gilt in der SPD nicht mehr als unschlagbar - auch wenn ein rot-rot-grünes Bündnis in weiter Ferne liegt. Der Spott von CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble dürfte die SPD erst richtig anspornen. Zur K-Frage meinte er gerade: „Das entscheidet die SPD - und der, der's wird, hat die Ehre, zu verlieren.“