Schwarz-rote Atempause zwischen zwei Briefen

Berlin (dpa) - Die Adresse ist ja praktischerweise auch noch einmal klein aufgedruckt auf dem offiziellen Briefpapier des bayerischen Ministerpräsidenten.

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Im Franz-Josef-Strauß-Ring 1, 80539 München, wird demnächst Post aus Berlin erwartet - die Antwort von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf das offizielle Protestschreiben von CSU-Chef Horst Seehofer samt Klagedrohung gegen den Flüchtlingskurs der gemeinsamen Bundesregierung. Nach einer Höflichkeitsfrist macht der Bayer den Brief an die „liebe Angela“ publik. Dabei herrscht in der aufgewühlten Koalition gerade wieder vorläufige Ruhe.

Nach der großen Aufregung, den sein Schriftstück in Berlin ausgelöst hat, liegt Seehofer nun an Signalen der Verlässlichkeit. „Wir wollen diese Koalition. Wir wollen den Erfolg dieser Koalition. Wir stehen treu zu jeder Vereinbarung“, versichert der CSU-Chef.

Da kommt ihm die nach wochenlangem Gezerre am Vorabend mit Merkel und SPD-Chef Sigmar Gabriel besiegelte Einigung beim Asylpaket II gerade recht. Die zweijährige Aussetzung des Familiennachzugs für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutz entspreche nun exakt dem, was die Parteichefs schon vor drei Monaten fixiert haben. Ein „besonders schöner Tag in Berlin“ sei das Dreiertreffen deswegen für ihn und die CSU gewesen.

In der SPD nehmen sie den Kompromiss zähneknirschend zur Kenntnis. Schon öfter haben die Genossen die Erfahrung gemacht, dass ihr Chef in der Runde mit Merkel und Seehofer weniger herausholt als erhofft. So auch dieses Mal. Der linke SPD-Flügel zetert, weil die Koalition mit Gabriels Plazet Härte beim Familiennachzug zeigt. Als taktisch unklug erwies es sich von der SPD, kurz vor dem Spitzentreffen durchsickern zu lassen, die Verschärfung auf ein Jahr begrenzen zu wollen. So hatte Gabriel das mit Merkel verabredet. Doch Seehofer gab erst recht nicht nach - und bekommt nun seine zwei Jahre.

Abzüge in der B-Note drohen Gabriel auch, weil der verschärfte Familiennachzug streng genommen eine rote Linie überschreitet, die der SPD-Parteitag gezogen hatte. Mitte Dezember wurde da festgelegt, dass wie im November verabredet nur etwa 1800 Flüchtlingen verboten werden sollte, Frauen und Kinder nachzuholen. Der Chef der SPD-Linken Matthias Miersch kündigt schon an, das Kleingedruckte beim neuen alten Asylpaket II genau zu lesen. Einen handfesten Aufstand muss Gabriel aber kaum fürchten. Parteitagsbeschlüsse würden nicht zum ersten Mal ignoriert, heißt es. Und längst sind wie in der Union die Realisten in der SPD am Drücker, was Gabriels Position festigt.

Auch für Merkel und Seehofer ist die mühsame Einigung in dieser eher kleinen Streitfrage nicht viel mehr als eine Atempause. Denn mit ihren Hauptforderungen - einem rigiden Stoppsignal an den deutschen Grenzen und einem Jahreslimit von 200 000 Flüchtlingen - beißen die Christsozialen bei Merkel weiter auf Granit. Zwischen CDU und CSU hat die Konfrontation einen tiefen Graben gerissen. Dabei werden in der CDU gerade Stimmen lauter, mit interner Kritik an der Kanzlerin zumindest vorerst auch nicht zu überziehen - allein schon wegen der christdemokratischen Wahlkämpfer in drei Bundesländern.

Die Geduld der CSU ist dagegen längst erschöpft. Als Merkel vor gut einer Woche bei der Landtagsfraktion in Wildbad Kreuth war, sagten Abgeordnete sogar voraus, entweder ändere sie ihre Politik - oder es müsse in absehbarer Zeit einen neuen Kanzler geben. Und neu ist: Seehofer lässt derlei Gedankenspiele laufen. Wo er früher eingeschritten wäre und so etwas im Keim erstickt hätte, macht er jetzt: nichts. Im Gegenteil. Am Montag, es war CSU-Vorstandssitzung in München, ließ Seehofer erkennen: „Ich sage als Parteivorsitzender, dass ich Verständnis habe für solche aufgewühlten Positionen.“

Merkel gibt sich vorerst unbeirrt. Ein greifbarer Fortschritt ihres Krisenmanagements wie nun beim Asylpaket II war allerdings auch für sie wichtig. Nächste Wegmarke soll der EU-Gipfel Mitte Februar sein. Streit mit der CSU öffentlich anzuheizen, vermeidet die Kanzlerin auch jetzt eisern. „Briefe werden beantwortet und nicht öffentlich diskutiert“, lautete ihre erste knappe Reaktion. In der CSU warten sie deswegen nun gespannt auf Post aus Berlin - aber in aller Ruhe, wie Seehofer beteuert: „Ich gehe jetzt nicht jeden Tag an den Briefkasten der bayerischen Staatskanzlei.“