Seelsorger: Keine falschen Hoffnungen machen

Nordholz (dpa) - Das Unglück der gekenterten „Costa Concordia“ sorgt für Entsetzen und Beklemmung. Für die Angehörigen der Vermissten sei vor allem die Ungewissheit belastend, sagt der evangelische Militärseelsorger Marcus Christ von den Marinefliegern in Nordholz in einem Interview mit der dpa.

Bei Schiffsunglücken und anderen Notfällen unterstützt der 44-Jährige auch das Havariekommando in Cuxhaven. Von dort koordiniert er die psychologische Betreuung vor Ort. Er war zum Beispiel beim Brand auf der „Lisco Gloria“ im Oktober 2010 vor Fehmarn oder bei dem Feuer auf der Nordseefähre „Hafnia Seaways“ vor einigen Monaten im Einsatz.

Herr Christ, noch immer werden nach dem Schiffsunglück Menschen vermisst, darunter sollen auch Deutsche sein. Was geht in den Angehörigen vor?

Christ: „Die stärkste Belastung für die Angehörigen ist sicherlich die Ungewissheit und die Angst, dass diesen Menschen wirklich ernsthaft was zugestoßen ist. Die Wahrscheinlichkeit, Überlebende zu finden, ist nicht sehr hoch. Trotzdem haben die Angehörigen noch einen kleinen Hoffnungsschimmer - zum Beispiel, dass sich irgendwo eine Luftblase gebildet haben könnte. Sie befinden sich in einem Zustand, wo es keine Sicherheit gibt. Das ist ein schlimmes Gefühl.“

Wie kann man ihnen in dieser Situation helfen?

Christ: „Auf alle Fälle, indem man ihnen zuhört. Man sollte versuchen, sie in ihren Ängsten und Sorgen ernst zu nehmen. Es hilft ja nicht, dass man ihnen falsche Hoffnungen macht. Denn das ist, wie es zurzeit aussieht, nicht mehr berechtigt. Aber wir können die Vermissten auch nicht für tot erklären, wenn wir nicht wissen, was mit ihnen ist. Deswegen ist es wichtig, dieses Leid mit auszuhalten.“

Es wurden einige Tote geborgen. Was fühlen deren Familien und Freunde?

Christ: „Sie sind wahrscheinlich massiv erschüttert, weil die Plötzlichkeit dieses Ereignisses sie überwältigt hat. Das Schockierende für viele ist, dass sie es eigentlich nicht glauben können. Denn vorher war noch alles in Ordnung. Die Angehörigen sind gesund losgefahren, um eine schöne Reise zu machen. Jetzt wissen sie, dass diese Menschen nicht mehr zurückkommen werden.“

Wie gehen die Überlebenden eines solchen Unglücks damit um?

Christ: „Das wird ganz unterschiedlich sein, je nachdem wie sie das erlebt haben und in welcher Beziehung sie zu den Opfern standen. Viele der Geretteten werden einfach nur glücklich sein, dass sie heil davon gekommen sind. Aber es gibt auch die sogenannte Überlebensschuld. Die Betroffenen fragen sich: "Warum habe ich überlebt und der mir nahestehende Mensch nicht. Trage ich dafür Verantwortung?" Rational betrachtet sind diese Gedanken natürlich Unsinn. Emotional aber ist das ein relativ normaler Vorgang.“