PISA-Länder im Porträt Siegesjubel in Singapur, Tristesse in Paris

Berlin (dpa) - Und der PISA-Gewinner ist ... Singapur. Zwischen 42 und 74 Punkte liegt der südostasiatische Insel- und Stadtstaat über dem OECD-Schnitt von knapp 500 Zählern - das sind Welten.

Auch andere Länder haben zuletzt die Ernte in der Bildungspolitik eingefahren. Chefkoordinator Andreas Schleicher sagt: „PISA spiegelt wider, was im Klassenzimmer passiert. Die Länder, die viel getan haben, sehen verbesserte Leistungen - und die Länder, wo wenig passiert, die sehen auch wenig Gutes.“ Zu den Problemstaaten gehört auch wieder Frankreich. Gewinner und Verlierer - Länderporträts zu „PISA 2015“.

SINGAPUR: Weil die Großregion Shanghai als PISA-Champion von 2012 diesmal nicht mehr einzeln neben China bewertet wurde, setzte sich der kleinste Flächenstaat Südostasiens (5,5 Millionen Einwohner) mit durchschnittlich 551 PISA-Punkten an die Spitze aller drei Rankings. „Dort hat jeder Lehrer etwa 100 Stunden Weiterbildung pro Jahr“, sagt „PISA-Papst“ Schleicher über Singapurs Erfolgsgeschichte. „Jede Schule unterhält professionelle Arbeitsgruppen, in denen Lehrer ihren Unterricht gemeinsam vor- und nachbereiten.“ Andere Experten heben hervor, dass dort die Unterrichtsräume hochmodern ausgestattet sind (auch in puncto digitale Medien) und dass in der Methodik „alte Zöpfe“ abgeschnitten wurden. „Pädagogische Forschung findet nicht nur an der Universität statt, sondern in den Schulen“, sagt Schleicher.

KANADA: Der nordamerikanische Flächenstaat (durchschnittlich 523 PISA-Punkte) will nächstes Jahr rund 300 000 Einwanderer aufnehmen - mit guten bildungspolitischen Erfolgsaussichten. Im Gegensatz zum Nachbarland USA ist Kanada laut PISA-Chef Schleicher Musterknabe bei der schulischen Integration. Kinder aus Migrantenfamilien, besonders aus China, Indien und anderen asiatischen Ländern, schneiden in der Schule oft besser ab als Kinder kanadischer Eltern. Im OECD-Vergleich liegen sie ebenfalls vorn, etwa bei Leseverständnis und Mathematik. Viele Schulen helfen Familien in Willkommenszentren im ungewohnten Alltag. Und da Kanada Migranten teils nach vier Jahren Aufenthalt ermöglicht, Staatsbürger zu werden, sind die Lernanreize groß.

FINNLAND/SCHWEDEN: Beide skandinavischen Länder gelten als Vorbilder in Sachen Bildungspolitik. In FINNLAND (jetzt 522 PISA-Punkte im Schnitt) ist die Zufriedenheit nach wie vor hoch. Wegen der wirtschaftlichen Probleme wurde zuletzt aber auch an den Schulen der Rotstift angesetzt. Viele befürchten, dass die Qualität darunter leiden könnte. Geld wird in die Digitalisierung gesteckt - so sollen mehr Schüler mit Tabletcomputern arbeiten können. In SCHWEDEN gab es in den vergangenen Jahren manche Enttäuschung über das Abschneiden bei den internationalen Tests. Eine große Debatte entbrannte, als das Land 2012 unter den OECD-Schnitt abstürzte. Die rot-grüne Regierung versucht nun, das Niveau mit viel Einsatz für kleinere Klassen, einen attraktiveren Lehrerberuf und mehr Gleichheit an den Schulen zu heben. Der PISA-Punkteschnitt stieg soeben von 482 auf 495.

POLEN: Mit im Schnitt 504 Punkten (nur knapp hinter Deutschland) gehört der Nachbar zu den bei PISA so starken östlichen EU-Ländern - dank einer ruhigen, konsequenten Bildungspolitik. „1999 wurde eine große Schulreform eingeleitet. Die wurde dann ein Jahrzehnt lang, über Parteigrenzen hinweg und trotz Regierungswechseln, Schritt für Schritt umgesetzt“, lobt OECD-Fachmann Schleicher. „Da wusste jeder Lehrer, was kommt.“ Der Erfolg wird auf die vor 17 Jahren eingeführten Mittelschulen zurückgeführt. Das Leistungsniveau wurde angehoben und die Chancengleichheit auf ein gutes Abitur erhöht, heißt es. Doch nun sehen Experten die Erfolge durch eine hastig vorangetriebene neue Schulreform bedroht: Polens Nationalkonservative wollen die Mittelschulen zum nächsten Schuljahr wieder abschaffen.

KOLUMBIEN: Das südamerikanische Land arbeitet sich auf den PISA-Ranglisten von ganz unten in Richtung Mittelfeld vor: Nach 392 PISA-Punkten im Schnitt (2012) sind es jetzt immerhin schon 410. „Es gab dort bis in die 90er Jahre überhaupt kein Schulsystem. Heute steht man auf dem Niveau von Mexiko - bei deutlich geringerem Ressourceneinsatz für Bildung“, sagt Schleicher. Bildungsexperte Pablo Gentili hebt hervor, Kolumbien sei ein Land, das gut 50 Jahre im Kriegszustand gelebt habe - mit über fünf Millionen Vertriebenen. Nun aber sei das System auf „permanentes Lernen“ ausgerichtet, auch kulturelle und soziale Belange spielten eine Rolle. Der Staat sorgt dafür, dass es überall adäquates Schulmaterial gibt. Mit zwei Jahren kommen Kleinkinder in Kitas, Schulen laufen meist im Ganztagsbetrieb. Dort werden nun Krieg und Friedensprozess verstärkt thematisiert.

FRANKREICH: Im Schulsystem des westlichen Nachbarn klafft ein Graben zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Im Land von „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ beschwören Politiker die Schule oft als Motor für soziale Gerechtigkeit und Integration. Seit 1975 gibt es ein Gesamtschulmodell - alle Kinder gehen nach der Grundschule auf das Collège. Doch die PISA-Studien zeigen seit Jahren wachsende Ungleichheiten. Im breiten PISA-Mittelfeld ist Frankreich abgerutscht - von fast 500 auf zuletzt 495 Punkte im Schnitt. Wissenschaftler verweisen auf veraltete Lehrmethoden und die soziale Ghettobildung in wirtschaftlich abgehängten Vorstädten. Obwohl die Politik dort eigentlich mehr Geld bereitstellen will, ist die Unterrichtsqualität schlechter geworden, kritisiert ein unabhängiges Expertengremium. „In Bezug auf die soziale Kluft steht Frankreich deutlich schlechter da als Deutschland“, bestätigt auch PISA-Experte Schleicher.