Sommermärchen-Affäre: Auch Beckenbauer im Visier der Justiz
Bern/Frankfurt (dpa) - Franz Beckenbauer erhielt am Donnerstag von einigen Ermittlern Besuch. Die Schweizer Bundesanwaltschaft hatte Kollegen in Österreich und Deutschland im Zusammenhang mit der bislang unaufgeklärten Affäre um das WM-Sommermärchen 2006 um Amtshilfe gebeten.
Fast zehn Monate nach der Eröffnung eines Strafverfahrens gegen den „Kaiser“ sowie die ehemaligen DFB-Funktionäre Wolfgang Niersbach, Theo Zwanziger und Horst R. Schmidt kam damit neue Bewegung in den Fall. Insgesamt fanden laut Schweizer Behörde zeitgleich Hausdurchsuchungen an acht Orten statt, es wurden verschiedene Beschuldigte vernommen.
„Franz Beckenbauer hat die Ermittlungen der Schweizer Bundesanwaltschaft unterstützt, seit er davon Kenntnis hatte, und an der heutigen Durchsuchung konstruktiv mitgewirkt. Er kooperiert auch weiterhin mit allen beteiligten Behörden“, hieß es in einer Erklärung der Beckenbauer-Anwälte Werner Leitner und Michael Nesselhauf an die Deutsche Presse-Agentur.
Wie die Bundesanwaltschaft mitteilte, hat sie das Strafverfahren bereits am 6. November 2015 „insbesondere wegen des Verdachts des Betrugs, der ungetreuen Geschäftsbesorgung, der Geldwäscherei sowie der Veruntreuung“ eröffnet. Geschädigter ist laut Staatsanwaltschaft der Deutsche Fußball-Bund (DFB).
Dem seit Jahren in Salzburg und zuvor in Kitzbühel lebenden Beckenbauer drohen damit wie seinen früheren OK-Mitstreitern juristische Konsequenzen. Im Schweizer Recht wird eine „ungetreue Geschäftsbesorgung“ mit Geldstrafe oder Gefängnis bis zu drei Jahren geahndet, in besonderen Fällen drohen bis zu fünf Jahre Haft.
Ex-DFB-Präsident Zwanziger gab sich gelassen. „Das hat keine Substanz“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Gegen ihn sowie Niersbach und Schmidt wird auch in Deutschland durch die Staatsanwaltschaft Frankfurt ermittelt - allerdings wegen Steuerhinterziehung.
Im Zentrum der Ermittlungen steht eine ominöse Zahlung von 6,7 Millionen Euro aus dem Jahr 2002, die vom DFB als Ausgabe für eine Gala zur WM-Eröffnung deklariert worden war. Diese fand jedoch nie statt. Es bestehe der Verdacht, „dass die Beschuldigten wussten, dass der Betrag nicht der Mitfinanzierung der Galaveranstaltung diente, sondern der Tilgung einer Schuld, die nicht durch den DFB geschuldet war“, begründete die Schweizer Bundesanwaltschaft ihre Ermittlungen.
Im Raum stehe zudem der Verdacht, dass die anderen OK-Mitglieder „durch Vorspiegelung und Unterdrückung von Tatsachen arglistig irregeführt“ worden seien, „um sie zu einem Verhalten zu bestimmen, welches den DFB am Vermögen schädigte“.
In der Affäre um die Vergabe der WM 2006 war schon im März ein Schatten auf Beckenbauer - die Lichtgestalt des deutschen Fußballs - gefallen. Damals hatte die Kanzlei Freshfields in ihrem Untersuchungsbericht zum Skandal, der DFB-Boss Niersbach im Vorjahr das Amt kostete, aufgedeckt, dass die ominöse Millionen-Zahlung nach Katar im Jahr 2002 über ein Konto von Beckenbauer und dessen früheren Manager Robert Schwan lief.
Demnach flossen damals sechs Millionen Schweizer Franken vom Beckenbauer/Schwan-Konto an die Kanzlei Gabriel & Müller, die das Geld an die Firma KEMCO Scaffolding Co. weiterleitete. Nach Angaben der Freshfields-Ermittler gehörte diese Firma dem damaligen FIFA-Vize Mohammed bin Hammam. Der frühere Top-Funktionär wurde wegen Korruption mittlerweile lebenslang gesperrt.
Unklar ist bis heute, was die KEMCO bzw. bin Hammam danach mit dem Geld machten und warum das Gespann Beckenbauer/Schwan diese Zahlungskette auslöste. Beckenbauer hatte sein Geld später vom früheren Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus zurückerhalten. Dieser überwies einen Betrag von zehn Millionen Schweizer Franken auf das Konto der Kanzlei Gabriel & Müller. Von dort aus wurden sechs Millionen an Beckenbauer und vier Millionen an KEMCO weitergeleitet.
Beckenbauer, der die WM 2006 als Chef des Organisationskomitees nach Deutschland holte, hatte stets erklärt, von den Zahlungen nichts gewusst zu haben. Die deutschen WM-Macher hatten bis zur Aufdeckung der Zahlungsströme immer behauptet, dass Louis-Dreyfus ihnen diese Summe vorgestreckt habe, um damit einen Organisationszuschuss vom Weltverband FIFA in Höhe von 250 Millionen Schweizer Franken abzusichern.
Die FIFA wollte sich zu den neuen Entwicklungen nicht äußern. „Das ist Sache der Behörden“, teilte eine Sprecherin auf Anfrage mit. Die Ethikkommission des Weltverbandes hatte unlängst Ex-DFB-Präsident Niersbach für ein Jahr für alle Aktivitäten im Fußball gesperrt, weil dieser ihrer Ansicht nach die dubiosen Geldflüsse rund um das Sommermärchen vertuscht habe. Niersbach, der gegen das Urteil juristisch vorgehen will, hatte seine Kenntnisse in dem Fall mehrere Monate für sich behalten.