SPD-Sieg kann Rot-Grün-Rot bringen
Berlin (dpa) - Erleichtert tritt Berlins Regierungschef vor seine SPD, doch sein Lächeln wirkt angestrengt. Michael Müller erlebt am Wahlabend Sieg und Niederlage zugleich. „Wir haben für mehr gekämpft“, räumt Müller ein.
Die SPD schrammt nach ersten Zahlen mit gut 23 Prozent nur knapp am schlechtesten Berlin-Ergebnis in der Nachkriegsgeschichte vorbei. Noch nie hat eine Partei in Deutschland mit so wenig Zustimmung eine Landtagswahl gewonnen. Doch gewonnen hat sie immerhin. Und Müller wird wohl Regierender Bürgermeister bleiben.
Die wahre Herausforderung steht ihm jetzt bevor: Deutschlands Hauptstadt steuert auf eine linke Landesregierung zu. Es wäre das erste rot-grün-rote Bündnis unter SPD-Führung in Deutschland. In der konservativen Opposition: neben CDU und FDP eine für die sonst so linksalternative Metropole relativ starke AfD.
Diese Konstellation würden auch die Bundesparteien genau beobachten. Im Bund wird 2017 gewählt. Und nicht wenige bei SPD, Grünen und Linken liebäugeln mit einem rot-rot-grünen Bündnis. Andere halten das für gefährlich, gilt es doch als Zusammenschluss, in dem öfter mal die Fetzen fliegen dürften. Die Linke sieht sich auf Augenhöhe mit den anderen, sie verzeichnete als einzige der großen Parteien Stimmengewinne.
Die bisherigen Berliner Regierungsparteien SPD und CDU werden vom Wähler kräftig abgestraft. „Das ist heute kein guter Tag für die Volksparteien“, resümiert CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel, dessen Partei mit rund 18 Prozent ihr schlechtestes Berlin-Ergebnis seit Gründung der Bundesrepublik einfährt.
Zu groß waren Probleme und Skandale: Nach dem verpatzten Flughafenbau kam das Versagen in der Flüchtlingskrise. Die emotionalen Fotos vom Berliner Flüchtlingsamt zeichneten international ein neues Deutschland-Bild. Chaos in den Bürgerämtern, kaputte Schulen - die Wähler hatten genug von Rot-Schwarz.
SPD und CDU rutschen beide im Vergleich zu 2011 um rund fünf Prozentpunkte ab. Vor allem Henkel muss sich nach dem historisch schlechten Ergebnis Fragen nach seiner politischen Zukunft gefallen lassen. Am Wahlabend sagte er deutlich: „Ich trete nicht zurück.“ Doch seine CDU hat die Mitte-Wähler enttäuscht, weil sie als Juniorpartner in der Regierung zu wenig bewegte. Einige zog es zur wiederbelebten FDP, den konservativen Rand zur AfD.
Die fühlt sich auch in Berlin als heimlicher Gewinner. Zwar bleiben die Rechtspopulisten in der traditionell linker orientierten Hauptstadt schwächer als zuletzt in Mecklenburg-Vorpommern, werden nur fünftstärkste Kraft und fahren zudem wohl ihr schlechtestes Landtagswahl-Ergebnis in diesem Jahr ein. Doch rund 12 Prozent sind für die Rechtspopulisten ein Erfolg. Dazu, das sollte erst in der Nacht klar werden, könnten Stadtrats-Posten in den Stadtbezirken und damit erstmals echte politische Verantwortung kommen.
Das hatte Müller eigentlich mit aller Kraft zu verhindern versucht. Ein starkes AfD-Ergebnis in Berlin werde auf der ganzen Welt als Zeichen des Wiederaufstiegs von Rechten und Nazis in Deutschland gewertet werden, hatte der 51-Jährige gewarnt.
Nach seiner ersten Wahl als Spitzenkandidat wollte der SPD-Chef eigentlich mit den Grünen regieren. Doch für ein Zweierbündnis - egal welches - reicht es nicht. Möglich sind mehrere Dreierkoalitionen, die sie eigentlich alle nicht wollten. Die SPD wird wohl zuerst mit Grünen und Linken sprechen. Bei Ergebnissen von um die 16 Prozent für beide Parteien hätte das linke Dreierbündnis eine Mehrheit von 55 Prozent.
Eine Regierung aus SPD, Grünen und Linken gibt es bundesweit bisher nur einmal: R2G wird in Thüringen allerdings vom Linken Bodo Ramelow geführt. Der setzt mehr auf eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe als es Müller in Berlin will. Für ihn sind Grüne und Linke eher lästige Zwangspartner als eine echte Allianz.
Auch Henkel und die CDU zeigen sich zu Sondierungsgesprächen bereit. Vergebens wahrscheinlich, denn sie hatten es sich im Vorfeld mit allen möglichen Koalitionspartnern - außer vielleicht der FDP - verscherzt. Auch Müller sagte deutlich, eine neue Zusammenarbeit mit Henkel und der Union wolle er vermeiden.
Doch voreilige Schlüsse auf den Ausgang der Koalitionsgespräche sind gefährlich, das haben die Berliner Politiker nach der vergangenen Wahl 2011 gelernt. Damals sah alles nach Rot-Grün aus, man feierte schon. Wenige Wochen später verkündete Klaus Wowereit das Scheitern der Gespräche - vor betretenen Grünen und lachender CDU.