Berlin schaut auf Berlin

Berlin (dpa) - Diesmal ist sie da. Als die CDU vor zwei Wochen in Mecklenburg-Vorpommern hinter die AfD abrutschte, war Angela Merkel auf Dienstreise. Mehr als 8000 Kilometer weit weg, beim G20-Gipfel im chinesischen Hangzhou, suchte die Kanzlerin am Telefon Kontakt zu ihrer aufgewühlten Partei.

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Heute bestimmen die Berliner ein neues Abgeordnetenhaus. Wieder könnte es brenzlig werden. Denn Merkels umstrittene Flüchtlingspolitik hat ihren Leuten schon die vier vorherigen Landtagswahlkämpfe 2016 gelinde gesagt nicht erleichtert. Auch in den anderen Parteizentralen schauen sie angespannt auf den letzten Stimmungstest dieses turbulenten Jahres.

Selbst abgestimmt hat Merkel mit Wohnsitz in der Hauptstadt schon per Briefwahl. So kann sie sich gleich der Analyse widmen und erste Drähte glühen lassen. Wie sehr schlägt der Bundes-Effekt diesmal durch? Euphorie nähren die Umfragen eher nicht. Da rangiert die CDU hinter der SPD etwa gleichauf mit Grünen und Linken. Es droht der Abgang aus der Landesregierung. Nach der Klatsche im Nordosten gab Merkel als Maximen aus: Ja, die jüngsten CDU-Einbußen hätten mit ihrer Flüchtlingspolitik zu tun. Aber nein, in Frage gestellt wird sie nicht. Als Antwort auf den Aufstieg der AfD komme es darauf an, konkrete Probleme zu lösen. Und besonnen zu bleiben, auch im Ton.

Umgehend auswerten dürfte das Abschneiden der CDU auch Merkels immer noch schärfster Widersacher, CSU-Chef Horst Seehofer. Gleich am Montag geht die bayerische CSU-Landtagsfraktion, in der schon länger Unmut über die Kanzlerin brodelt, in Klausur. Seehofer lässt keinen Zweifel, dass er - auch für eine härtere Kante gegen die AfD bei der Bundestagswahl - Kurskorrekturen der gesamten Union erzwingen will. Christsoziale reden denn auch schon distanziert von „der Berliner Politik“, obwohl sie doch mit in der Bundesregierung sitzen. Und dann schwelt da noch die heikle Frage: Tritt Merkel 2017 wieder an?

Für die SPD fällt die Berlin-Wahl ebenfalls in schwierige Zeiten. Schafft der Regierende Bürgermeister Michael Müller wie schon Erwin Sellering in Schwerin die „Titelverteidigung“, könnte es für Sigmar Gabriel aber glimpflicher laufen als befürchtet. Der Parteichef könnte mit Rückenwind in einen SPD-Konvent zum Freihandelsabkommen der EU mit Kanada (Ceta) gehen, der gleich am Montag folgt. Auch als Bundeswirtschaftsminister wirbt er dafür. Ungewiss dürfte bis zuletzt bleiben, ob manche Genossen das Votum nicht doch noch als Frustventil nutzen. Unabhängig davon rückt nach dem Abschluss der Wahlkämpfe eine Personalie auf die Agenda der großen Koalition: Die Suche nach einem Nachfolger für den scheidenden Bundespräsidenten Joachim Gauck.

Die Bundestags-Opposition schaut mit gemischten Gefühlen ins Land Berlin. Die noch vom Wiederwahl-Triumph ihres Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg beseelten Grünen bauen darauf, die Scharte von Schwerin auszuwetzen, wo sie aus dem Landtag flogen. In Berlin steht das nicht zu befürchten. Aber glückt endlich wieder der Sprung in Regierungsverantwortung? Gebraucht würde dafür wohl die Linke, die schon einmal im Senat saß. Nach Dämpfern bei den Wahlen in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern muss sich aber zeigen, wie gut die Sozialisten Protestwähler von links noch binden.

Die AfD-Spitze kann fest mit den Einzug ins zehnte Landesparlament rechnen. Auch wenn das urbane Berlin anders tickt als der Nordosten, wo die Rechtspopulisten gerade aus dem Nichts 20 Prozent der Stimmen einsammelten. Bei den parallelen Wahlen in den Berliner Bezirken könnte die AfD zudem Stadtratsposten ergattern und damit über kommunale Finanzen und Personal mitentscheiden.

Im Wahlkampf-Endspurt setzte SPD-Mann Müller dann auch darauf, gegen die neuen Rechten zu mobilisieren. Eine starke AfD in der Hauptstadt, so warnte der „Regierende“ gerade, könnte international als Erstarken von Neonazis in Deutschland gedeutet werden. Selbst dürften die Sozialdemokraten, die die Stadt mit Unterbrechungen seit fast 60 Jahren mitregieren, wohl trotz Einbußen stärkste Kraft bleiben.

Müller, der seinen bundesweit bekannten Vorgänger Klaus Wowereit (SPD) vorzeitig beerbte, stellt sich schon auf eine eher ungeliebte Koalition mit Grünen und Linken ein. Lieber wäre ihm Rot-Grün, doch dafür allein dürfte es kaum reichen. So könnte Berlin auch zu einem Testballon für Rot-Rot-Grün im Bund werden, wovon manche in den drei Parteien träumen. Laut abgelehnt haben alle größeren Hauptstadt- Parteien dagegen ein Zusammengehen mit der CDU von Spitzenkandidat Frank Henkel, der zuletzt mächtig für ein umstrittenes Burka-Verbot trommelte.