„Speerspitze“ für schnelle Einsätze beschlossen
Newport (dpa) - Die Nato besinnt sich in der Ukraine-Krise wieder auf Mittel der Abschreckung. Die Staats- und Regierungschefs der 28 Alliierten beschlossen auf ihrem Gipfel in Wales den sogenannten Readyness Action Plan (sinngemäß Plan für höhere Bereitschaft).
Er zielt auf den Schutz der ost- und mitteleuropäischen Partner, die sich von Russland bedroht fühlen.
Zentrales Element ist eine „Speerspitze“ der schnellen Eingreiftruppe (Nato Response Force). Es geht um mehrere Tausend - vermutlich 3000 bis 5000 - Soldaten aller Waffengattungen, die im Krisenfall binnen zwei bis fünf Tagen in Einsatzbereitschaft versetzt werden können, erläuterte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen.
Die Soldaten der Einheiten sollen nur mit leichtem Gepäck ausgerüstet sein. Fahrzeuge, Waffen, Munition und andere Ausrüstung werden den Plänen zufolge in möglichen Einsatzländern gelagert. Die „Speerspitze“ soll abwechselnd von mehreren Verbündeten gestellt werden.
Damit will das Bündnis an den Regeln der Gründungsakte des Nato-Russlands-Rates von Mai 1997 festhalten. Der Vertrag verbietet der Allianz, dauerhaft Kampftruppen in Ost- und Mitteleuropa zu stationieren. „Wir haben keine Entscheidung getroffen, uns von der Nato-Russland-Akte abzuwenden“, sagte Rasmussen.
In Polen, den baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sowie in Rumänien gab es Stimmen, den Vertrag aufzukündigen, den Russland ihrer Ansicht nach durch seine Aggressionspolitik gebrochen hat.
Nun werden dort nach den Worten Rasmussens Stützpunkte für die „Speerspitze“ ausgebaut und zeitweise mehr Nato-Soldaten stationiert. „Unsere Präsenz im Osten wird sichtbarer.“
Das Bündnis hat die Beziehungen zu Moskau nach der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim auf Eis gelegt und beobachtet mit Sorge, wie Russland offensichtlich Separatisten in der Ostukraine unterstützt.
Zu Beginn der Sitzung sagte der britische Premierminister David Cameron als Gastgeber in Newport: „Unser großes Bündnis muss sich weiter entwickeln und auf die Fähigkeiten besinnen, die wir brauchen, um unseren Völkern Sicherheit zu geben.“ Großbritannien sei bereit, bis zu 3500 Soldaten für die „Speerspitze“ abzustellen.
Cameron appellierte an die Gipfelrunde, mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für die Rüstung auszugeben und davon mindestens ein Fünftel für Ausrüstung. „Das wäre eine starke Botschaft an die, die uns bedrohen, dass unsere gemeinsame Entschlossenheit ungebrochen stark ist.“
Rasmussen ergänzte: „Wir müssen sicherstellen, dass die Nato bereit, in der Lage und willens ist, alle Verbündeten gegen jede Bedrohung zu verteidigen.“
Die Verteidigungsausgaben der Nato haben seit 1990 stetig abgenommen. Vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise werden Forderungen nach einer Trendumkehr lauter.
Zwischen 1990 und 1994 lag der Anteil der Ausgaben für Soldaten und Rüstungsgüter am BIP noch bei 2,5 Prozent in Europa und bei 4,5 Prozent in den USA. 2013 lag der Anteil nur noch 1,6 Prozent in Europa, während die USA 4,4 Prozent ausgaben.
2013 wurde der von der Nato angestrebte Anteil von zwei Prozent nur von den USA (4,4), Großbritannien (2,4), Griechenland (2,3) und Estland (2,0 Prozent) erreicht. Deutschland kam auf 1,3 Prozent.
Am ersten Tag des Treffens hatten sich die Staats- und Regierungschefs mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko getroffen. Anschließend sagte er, Alliierte hätten der Ukraine Waffenlieferungen in Aussicht gestellt. Einzelheiten nannte er nicht.
Die Europäische Union wollte am Freitag in Brüssel über schärfere Sanktionen gegen Russland beraten. Die EU-Botschafter sollten zusammenkommen, um letzte Details zu klären. Die neuen Sanktionen dürften Russland den Zugang zu den EU-Finanzmärkten weiter erschweren. Es geht auch ein Lieferverbot von Rüstungsgütern sowie auch militärisch nutzbarer Produkte und Ölfördertechnik.
Vor geplanten Verhandlungen am Freitag in der weißrussischen Hauptstadt Minsk gab es in der Ostukraine heftige Gefechte mit Verlusten auf beiden Seiten. In Minsk wollten sich Vertreter der Ukraine, Russlands, der Separatisten und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) an einen Tisch setzen.
Die Gipfelrunde wollte auch über Maßnahmen gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) beraten. „Es sollte völlig klar sein: Diese Terroristen, ihre Drohungen werden unsere Entschlossenheit nur verstärken, für unsere Werte einzustehen und sie zu verteidigen“, sagte Cameron.
Er rief dazu auf, Geiseln in den Händen von Terroristen nicht mit Lösegeldern freizukaufen. Das helfe ihnen nur, weitere Geiselnahmen vorzubereiten und Anschläge zu planen. Die britische Regierung schätzt, dass Terroristen in den vergangenen fünf Jahren mindestens 60 Millionen US-Dollar (gut 46 Millionen Euro) an Lösegeldern eingenommen haben.