Analyse: Russland gibt der Nato neuen Sinn
Newport (dpa) - Die Nato ändert ihren Kurs. Inmitten der gepflegten Golflandschaft von Celtic Manor in Newport (Wales) haben die Staats- und Regierungschefs der 28 Nato-Staaten einen neuen Sinn und Zweck für das Nordatlantische Bündnis gefunden.
Kein anderer als Russlands Präsident Wladimir Putin war es, der bei der Allianz für eine politische Wende von historischer Bedeutung sorgte. Die Nato sieht sich nach der Annexion der Krim und dem russischen Einmarsch in der Ostukraine in Zukunft vor allem - und wieder - als Sicherheitsgarant aller Mitglieder.
Dem Bündnis steht nun der größte politische und militärische Umbau seit dem Ende des Kalten Krieges 1989 bevor. „Als wir uns 1990 trafen, hofften viele, dass unser Ziel bald erreicht sei. Die Vision eines freien und friedlichen Europas schien zum Greifen nahe“, sagte Gastgeber David Cameron. Tatsächlich aber sei heute wieder „der Schutz und die Sicherheit der Nato so wichtig wie immer“.
Mit einer ganzen Reihe von Beschlüssen machte die Gipfelrunde klar, dass sie Moskau zumindest in überschaubarer Zukunft nicht mehr als Partner in Sicherheitsfragen sieht. Das Wort „Gegner“ mochte man aber nicht in den Mund nehmen, weil die Nato auch künftig den politischen Dialog mit Moskau noch will.
Die neue ganz schnelle Truppe der Nato, vom scheidenden Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen „Speerspitze“ genannt, ist das sichtbarste Zeichen des Wandels. Innerhalb von 2 bis 5 Tagen einsetzbar (ursprünglich war von maximal 3 Tagen die Rede), sollen die 3000 bis 5000 Mann praktisch jederzeit vor allem in den östlichen Mitgliedsstaaten die Nato-Flagge zeigen. Die Botschaft: Ein Angriff würde eine Antwort aller Nato-Mitglieder auslösen. „Wir glauben nicht, dass Russland eine strategische Konfrontation will. Niemand will das“, sagt der stellvertretende Oberkommandeur des Bündnisses, der britische General Sir Adrian Bradshaw.
Der Gipfel in Newport, geplant zum Ruhme des innenpolitisch belagerten Cameron und als Abschied für den scheidenden Rasmussen, wurde wegen Russlands Vorgehens gegen die Ukraine zu einem Wendepunkt in der Nato-Geschichte. „Wir haben die Nato fitter, schneller und flexibler gemacht“, fasste Rasmussen zum Ende des Gipfels zusammen.
Es ist eine politische Kehrtwende geworden. Angesichts des im Dezember auslaufenden Kampfeinsatzes in Afghanistan und vor dem Hintergrund zunehmend ausgezehrter Verteidigungshaushalte wollte die Allianz eigentlich künftig eher ein Sicherheitsdienstleister mit bescheidenen Ambitionen werden, der beispielsweise Streitkräfte in Krisenstaaten berät oder ausbildet. Putins Ukraine-Vorstoß sorgte für ein plötzliches Erwachen: Vor allem die Nato-Mitglieder im Osten mit größeren russischen Minderheiten verlangten lautstark nach den guten alten Sicherheitsgarantien, die im Kalten Krieg die Existenzberechtigung der Nato ausmachten.
Tatsächlich geht es nicht nur um die Aufstellung einer ganz schnellen Truppe von bis zu 5000 Mann, sondern generell um die Rückbesinnung auf die gemeinsame Verteidigung. Das bedeutet eine Ausbildung für sehr konventionelle Kampfeinsätze, bei denen sich Soldaten und Panzer gegenüberstehen. Dank dramatischer Abrüstung in den vergangenen 20 Jahren verfügt die Nato aber nur noch über wenige Panzer. Manche Staaten haben überhaupt keine mehr, Deutschland kommt gerade noch auf etwa 230 schwere Kampfpanzer. Auch in anderen Bereichen, etwa bei den Luftwaffen, sieht es in vielen Nato-Ländern dürftig aus.
„Wenn man diese Truppe anpackt, dann packt man die gesamte Nato an“, sagt Bradshaw. Also ging es auch ums Geld: Der Umbau der Prioritäten bedeutet einen massiven Finanzbedarf. Es müssen nicht nur Waffen und Material an Empfangs-Orte in den östlichen Ländern gebracht werden, die Ausbildung der „Speerspitze“ ist von größter Bedeutung und muss ständig fortgesetzt werden. Finanzbedarf entsteht auch für die Aufklärung und die Informationsbeschaffung. Aber selbst US-Präsident Barack Obama konnte sich nicht durchsetzen, als er der Gipfelrunde das Versprechen abringen wollte, künftig mehr Geld für die Verteidigung auszugeben. Verbindlich wollte man sich nicht festlegen, nur die Absicht künftiger Erhöhungen binnen zehn Jahren gaben die Regierungschefs zu Protokoll.
Überhaupt gibt es weiterhin erhebliche Meinungsunterschiede im Bündnis. Die Frage, ob man das Partnerschaftsabkommen mit Moskau denn nun aufrechterhalten soll, gehört dazu. Deutschland ist beispielsweise energisch dafür, die östlichen Staaten sind dagegen. Auch in der Frage möglicher Waffenlieferungen an die Peschmerga im Kampf gegen die islamische Terrormiliz IS gab es keinen Konsens. Die Nato löste den Streit mit dem Hinweis, es handele sich ohnehin um nationale Entscheidungen. Sie als Nato habe damit gar nichts zu tun.