Straßburger Urteile in der Kritik
Berlin (dpa) - Die jüngsten Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zur Sicherungsverwahrung in Deutschland und die daraus zu ziehenden Konsequenzen sind umstritten.
Niedersachsens Justizminister Bernd Busemann (CDU) kündigte an, die Straßburger Rüge werde auf die zehn Sicherungsverwahrten in seinem Bundesland keine Auswirkungen haben. „Ich lasse keinen raus“, sagte er der „Berliner Zeitung“ (Freitag). Der Bundesgerichtshof habe schließlich erst im vergangenen November entschieden, dass ein früheres Urteil des Straßburger Gerichts keine Entlassungsautomatik beinhalte.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte die Bundesrepublik am Donnerstag erneut in vier Fällen verurteilt. Er stellte einen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention fest. Weil zahlreiche Fälle umstritten sind und angefochten werden, könnten die Gerichte gezwungen sein, weitere Täter freizulassen.
Niedersachsens Justizminister forderte das Bundesverfassungsgericht auf, das Problem der nachträglichen Sicherungsverwahrung endlich grundsätzlich zu klären. „Es wird Zeit, dass Karlsruhe spricht.“ Die Justiz müsse wissen, ob die Haltung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gelte oder die bisherige Rechtsprechung aus Karlsruhe, sagte Busemann. Karlsruhe hatte 2004 geurteilt, dass die damals mögliche nachträgliche Verhängung der Sicherungsverwahrung mit dem Grundgesetz vereinbar sei.
Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach hält die erneute Rüge aus Straßburg für problematisch. Es gehe in einem Fall um einen Sexualstraftäter, der in der Haft jede Therapie abgelehnt habe und dem Gutachter bescheinigen, dass eine hohe Rückfallgefahr bestehe, sagte er den Dortmunder „Ruhr Nachrichten“ (Freitag). Bosbach teilte nicht die Auffassung des EGMR, Deutschland habe europarechtliche Vorgaben nicht hinreichend beachtet. „Wir haben bereits mit der neuen umfassenden gesetzlichen Regelung der Sicherungsverwahrung auf die Rechtsauffassung der europäischen Richter reagiert.“ Über die neue Regelung zur sogenannten Sicherungsunterbringung hinaus sehe er keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf.
Der Vorsitzende der Deutschen Richterbundes, Christoph Frank, betonte, dass die Bevölkerung nicht hundertprozentig vor Gewalttätern geschützt werden könne. „Es bleiben Risiken, die in einer Abwägung der Rechte der Betroffenen mit dem Sicherheitsanspruch der Bevölkerung hingenommen werden müssen“, sagte er der in Halle erscheinenden „Mitteldeutschen Zeitung“ (Freitag).