Zu kühl, zu wenig Mitgefühl Theresa May - eine Frau steht sich selbst im Weg

London (dpa) - „Schäm' dich!“, „Feigling!“. Der britischen Premierministerin Theresa May fliegen die Beschimpfungen nur so um die Ohren. Als vor einer Woche ein Londoner Hochhaus lichterloh in Flammen stand, hagelte es Kritik an Mays Verhalten.

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Viel zu langsam habe sie reagiert und bei ihrem ersten Besuch am ausgebrannten Sozialbau nicht mit den Opfern gesprochen. Am Mittwoch kündigte Mays Regierung in ihrem Programm, das von der Queen verlesen wurde, eine Untersuchung der Brandkatastrophe an. Ob das die Wut dämpfen kann?

Tausende Demonstranten hatten am vergangenen Wochenende ihrem Ärger Luft gemacht. „Trotzt der Tory-Herrschaft“, hieß es auf Plakaten. Viele forderten Mays Rücktritt. Sprechchöre vor ihrem Amtssitz in der Downing Street skandierten „Vorwärts, Jeremy Corbyn!“. Sie wollen lieber den volksnahen Labour-Chef als Premier.

May berief eine Sondersitzung ein. Nach einem Treffen mit Opfern, Anwohnern und Helfern gab sie zu: Die Unterstützung kurz nach der Katastrophe „war nicht gut genug“. Der 68-jährige Corbyn punktete dagegen, weil er sofort - medial wirksam - Opfer der Brandkatastrophe getröstet hatte.

Als wenige Tage später ein Mann mit einem Lieferwagen in eine Gruppe von Muslimen vor einer Moschee raste, war May eine der ersten vor Ort. Sie traf sich mit Vertretern verschiedener Religionen am Gotteshaus. Auch hier Kritik: „Warum bist du denn heute so schnell?“, spotteten Passanten, als sie sich auf den Rückweg machte. Corbyn und Londons muslimischer Bürgermeister Sadiq Khan nahmen sich Zeit und setzten beim Fastenbrechen mit Muslimen ein Zeichen gegen den Hass.

Für May und Scotland Yard ist die Attacke ein Terroranschlag, einer von mehreren, die Großbritannien in letzter Zeit erschütterten. Die Regierung, so wurde am Mittwoch verkündet, plant jetzt eine neue Einsatztruppe für den Katastrophenschutz sowie eine Anti-Extremismus-Kommission. Allerdings: Viele halten May immer wieder vor, dass sie in ihrer Zeit als Innenministerin für den starken Abbau des Polizeiapparats mitverantwortlich war.

Egal, was sie tut: May kommt beim Volk einfach nicht so richtig an. Mitgefühl zu zeigen, fällt ihr schwer. Spontanes Zugehen auf Leute ist nicht ihre Sache. Sie hält lieber Distanz, vermeidet möglichst Situationen, in denen sie ad hoc reagieren muss. Sogar ein direktes TV-Duell mit Corbyn lehnte sie kategorisch ab. Der Alt-Linke setzt sich konsequent für den Abbau sozialer Ungleichheit ein. May kam dagegen mit geplanten Einschnitten bei der Pflege ins Strudeln - das Vorhaben ist jetzt im Regierungsprogramm nicht mehr zu finden.

All das hat May in der vorgezogenen Parlamentswahl Stimmen gekostet. Statt den Regierungsvorsprung der Konservativen auszubauen - so war der Plan - verlor sie die absolute Mehrheit. Nun flirtet May ausgerechnet mit der nordirischen DUP (Democratic Unionist Party), um Unterstützung für eine Minderheitsregierung zu bekommen. Doch auch hier hat die 60-Jährige kein glückliches Händchen bewiesen.

Die rechten Unionisten stehen unter anderem in der Kritik, weil sie Vorbehalte gegen die Homo-Ehe haben. Kritiker monieren zudem, dass ein Deal mit der protestantischen Partei den Friedensprozess in Nordirland gefährden könnte. Die britische Regierung sei als Schiedsrichter zwischen Katholiken und Protestanten in der Region nicht mehr neutral.

Fakt ist: Knapp zwei Wochen nach der Wahl hat May noch immer keine Einigung mit der DUP erzielt, die unter anderem darauf pocht, dass die Grenze zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland auch nach dem Ausstieg aus der EU offen bleibt.

Hat die Queen, als sie das Regierungsprogramm mit den verschiedenen Brexit-Gesetzentwürfen vorlas, mit ihrer Kleidung etwa ein politisches Bekenntnis für die EU abgegeben?, fragten sich politische Beobachter. Die Königin trug einen Hut, der blau-gelbe Blumen hatte - so manchen erinnerte das aus der Ferne an die EU-Fahne. Doch das ist sehr unwahrscheinlich. Die Queen verhält sich politisch neutral und liebt ein farbenfrohes Outfit - damit man sie besser sieht.

Die Abstimmung über das Programm, die in etwa einer Woche stattfinden soll, ist de facto eine Vertrauensabstimmung für die Regierung. Sie könnte zur echten Nagelprobe für die Tories und auch für May selbst werden. Sollten die Konservativen ihr Programm nicht durch das Parlament bekommen, hätte die Gegenseite - also Corbyns Labour-Partei - das Recht auf den nächsten Versuch.

Möglicherweise müsste May dann als Parteichefin abtreten. Noch hat sie aber die Chance, ihr Versprechen nach dem Wahldebakel einzulösen. Da hatte die Premierministerin - reumütig und aus vollem Herzen - gesagt: „Ich habe uns das eingebrockt, ich hole uns da wieder raus.“