Tod nach Prügelattacke „Ich will wissen, was passierte“

Berlin (dpa) - Tina K. hat sich vor diesem Tag gefürchtet. Trotzdem kommt die ganz in Schwarz gekleidete junge Frau gefasst in das riesige Berliner Landgericht. Sieben Monate nach dem Tod ihres Bruders Jonny begann am Montag der Prozess gegen sechs junge Männer.

Tina K. will den Angreifern in die Augen sehen. Sie werde zu jedem Prozesstag kommen, hatte sie angekündigt. Nun sagt sie, umlagert von Mikrofonen und Kameras: „Ich will, dass die Wahrheit rauskommt.“

Jonny K. wurde nur 20 Jahre alt. Er starb nach Tritten und Schlägen an Gehirnblutungen. Brutal verprügelt in einer Oktobernacht 2012 zwischen Alexanderplatz und Rotem Rathaus, laut Staatsanwaltschaft völlig grundlos von einer „massiven Übermacht“. Er wollte einem betrunkenen Freund helfen. Sein Tod hatte die Stadt aufgewühlt.

Tina K. hat den Mut, den Verlust ihres kleinen Bruders nicht still hinzunehmen. Sie engagiert sich öffentlich gegen Gewalt, geht in Schulen und spricht über Zivilcourage. Und kommt auch deshalb als Nebenklägerin in den Prozess, damit „das nicht noch einmal passiert“.

Mit fast flüsternder Stimme meinte sie in einer Verhandlungspause: „Dass sie sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe schieben - ich habe nicht mit etwas anderem gerechnet.“ Sie empfinde eine komplette Leere. „Die Tat ist nicht zu entschuldigen.“

Es dürfte für den Vorsitzenden Richter Helmut Schweckendieck und seine Kollegen nicht so einfach werden, die Wahrheit herauszufinden und zu klären, wer mit welchem Anteil an der Schlägerei beteiligt war, bei der auch Tinas Freund schwer verletzt wurde. Auch Berlins Opferbeauftragter Roland Weber, der Tina K. als Anwalt vertritt, rechnete mit einer komplizierten Wahrheitsfindung. „Wir sind noch ganz am Anfang.“

Wer nun Jonny nach einer After-Show-Party auf dem Nachhauseweg so attackierte, dass er auf dem Pflaster aufschlug und wer seinen Begleiter, den Freund seiner Schwester misshandelte, war nach dem ersten Prozesstag nicht klar. Die jungen Männer mit den akkuraten, kurzen Haaren waren sich in einem Punkt einig - am Tod von Jonny K. seien sie nicht schuld, betonten sie jeweils selbst oder in Erklärungen ihrer Anwälte.

Der 19-jährige Onur U., den die Staatsanwaltschaft als treibende Kraft des Angriffs bezeichnete, hatte sich in die Türkei abgesetzt und sich erst nach Monaten im April den deutschen Behörden gestellt. Der Deutsch-Türke beteuerte nun im Prozess, er habe Jonny K. erst gar nicht bemerkt. Er habe den anderen, einen dunkelhäutigen Mann mit Faustschlägen attackiert, ließ der frühere Boxer in schwarzem Hemd und Jeans seinen Anwalt verlesen. Mit dem Tod von Jonny K. habe er nichts zu tun. Er habe Angst vor einer Vorverurteilung gehabt, sagte er zu seiner langen Flucht.

Die Angeklagten im Alter zwischen 19 und 24 Jahren zeigten sich insgesamt eher ratlos. Sie beschrieben sich als ansonsten nicht gewalttätig. Auch Alkohol habe damals eine Rolle gespielt. Es sei alles so schnell gegangen. „Die Tat macht mich fassungslos und sprachlos. Der Tod von Jonny berührt mich sehr“, ließ ein 24-jähriger Angeklagter seinen Anwalt verlesen. Ihm wirft die Staatsanwaltschaft vor, Jonny K. gegen den Kopf getreten zu haben, als dieser schon reglos am Boden lag. Er bestreitet dies.

Vier der sechs Männer sind wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge angeklagt, zwei wegen gefährlicher Körperverletzung. Nach dem Tod des jungen Berliners waren auch Mordanklagen gefordert geworden. Ein Tötungsvorsatz sei aber nicht erkennbar, deshalb seien Mordanklagen nicht infrage gekommen, so die Staatsanwaltschaft.

Die Prügelattacke ist indes kein Einzelfall. Erst am Wochenende wurde eine junge Frau am Alexanderplatz von zwei anderen Frauen verprügelt. Die 17-Jährige konnte inzwischen aber das Krankenhaus verlassen.