Zahl sinkt fast unmerklich Trotz Boom: Kaum Job-Chancen für Langzeitarbeitslose
Nürnberg (dpa) - Wenn Bundesagentur-Chef Frank-Jürgen Weise in den vergangenen Monaten in Nürnberg ans Mikrofon trat, dann ging es selten ohne einen neuen Rekord ab. Der Oktober machte da keine Ausnahme.
Mit den von Weise verkündeten 2,54 Millionen Arbeitslosen - 109 000 weniger als vor einem Jahr - erinnern die aktuellen Erwerbslosenzahlen an die Werte des Wiedervereinigungsbooms vor 25 Jahren.
Keine Frage: Auf dem deutschen Arbeitsmarkt läuft es richtig rund, und das trotz der Zuwanderung von Flüchtlingen - jedenfalls vorerst noch. In deutschen Betrieben warten Hunderttausende Jobs darauf, mit passenden Bewerbern besetzt zu werden. Und die Zahl der regulären Stellen wächst weiter.
Trotz dieser Erfolgsbilanz hält sich die Euphorie beim Bundesagentur-Chef, der im Frühjahr 2017 in den Ruhestand geht, in Grenzen. Denn der Arbeitsmarktpolitik der zurückliegenden Jahre haftet vor allem ein Makel an: Selbst in einem halben Dutzend Boom-Jahren ist es der Bundesagentur nicht gelungen, Langzeitarbeitslose in Arbeit zu bringen.
Mit der im kommenden Jahr - auch im Zuge der Flüchtlingszuwanderung - erwarteten steigenden Arbeitslosigkeit werden die Zeiten für Menschen, die schon länger keinen Job haben, wieder schwieriger werden. Die Bundestagsopposition spricht daher von einer vertanen Chance; die Boomjahre seien für eine Jobintegration von Langzeitarbeitslosen nicht genutzt worden, kritisieren Linkspartei und Grüne.
Inzwischen hat Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) freilich reagiert. Seit vergangenem Jahr finanziert die Bundesregierung - unterstützt mit Millionen Euro aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) - eine intensivere Betreuung von Langzeitarbeitslosen. Die Förderung besteht aus drei Säulen: der Akquise von Jobs, Hilfe der Betroffenen bei der Bewerbung und ihre Begleitung durch Job-Coachs in den ersten Monaten nach erfolgreicher Jobvermittlung.
Immerhin profitierten bis Ende Oktober fast 9400 Langzeitarbeitslose von dem entsprechenden Bundesprogramm. Und glaubt man dem künftigen Bundesagentur-Chef Detlef Scheele, dann tragen die Maßnahmen bereits erste Früchte. Immerhin hat die Zahl der Langzeitarbeitslosen die lange Zeit scheinbar zementierte Marke von einer Million unterschritten. Sie sank mit sieben Prozent binnen Jahresfrist stärker als die Arbeitslosigkeit insgesamt.
Entsprechende Programme, die neben Lohnkostenzuschüssen vor allem auf eine individuelle Betreuung setzen, waren nach Einschätzung von Arbeitsmarktkritikern längst überfällig. Denn Studien belegen, dass es kaum ein größeres Jobhindernis gibt als schon länger arbeitslos zu sein. Und das waren 2015 immerhin rund 1,04 Millionen Männer und Frauen. Davon waren 16 Prozent ein bis zwei Jahre arbeitslos, 8 Prozent zwei bis drei Jahre und 8 Prozent sogar vier Jahre und länger ohne Stelle.
Die Folgen: „Die Selbst- und Eigenständigkeit sind vielen Langzeitarbeitslosen abhandengekommen und müssen neu erlernt werden“, beschreibt etwa Verena Andrea Knoop vom Jobcenter Rhein-Erft die Probleme. Denn zur langen Arbeitslosigkeit kommen nach Erkenntnissen von Mark Trappmann vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) oft noch weitere Probleme hinzu, die eine Jobvermittlung erschweren.
Manchmal ist es ein ganzes Problembündel. Oft reicht es schon, keinen Schulabschluss zu haben und älter als 51 zu sein, um auf dem boomenden Arbeitsmarkt abgehängt zu werden. Kommen dann auch noch gesundheitliche Probleme dazu, dann schrumpft nach IAB-Erkenntnissen die Chance eines Hartz-IV-Beziehers, eine „bedarfsdeckende Beschäftigung“ zu finden, auf nur noch vier Prozent.
Ähnlich schwer wiegen bei dem Problem oft auch Vorurteile von Arbeitgebern. Denn haben Chefs Männer und Frauen trotz längerer Jobsuche mal eingestellt, sind sie nach Erkenntnissen des IAB, der Denkfabrik der Bundesagentur, oft erstaunt über deren Teamfähigkeit, ihre soziale Kompetenz und ihr Engagement. So urteilen Firmen mit Langzeitarbeitslosen im Betrieb über diese Beschäftigtengruppe oft deutlich positiver als Unternehmen ohne eine solche Erfahrung.