Umweg über Brüssel: Lucke und die Zukunft der AfD
Berlin (dpa) - Es ist der Tag nach dem Triumph: Zu siebt stehen sie vor den Medien in Berlin, die frisch gekürten Europa-Abgeordneten der AfD.
Alle sind dabei, auch der frühere Industriepräsident Hans-Olaf Henkel, die konservative Galionsfigur Beatrix von Storch und der 74 Jahre alte Wirtschaftsprofessor Joachim Starbatty. Aber einer führt das Kommando: Bernd Lucke, die Nummer eins der AfD-Wahlliste und der nun unbestrittene Kopf der Eurokritiker. Zum Spaß spielt der schmächtige Mann vor den Kameras sogar den Muskelprotz. So stark war er noch nie.
Ob Lucke seinen Laden aber weiter so entschlossen führen kann, wenn er erst hauptamtlich in Brüssel arbeitet, das fragen sich viele an diesem Montag in Berlin. Denn noch ist nicht geklärt, wohin die Reise für die AfD geht. Das nächste Ziel ist die Landtagswahl in Sachsen Ende August. Zweistellig will die AfD dort werden, hat schon am Sonntag stolze 10,1 Prozent erreicht. In Thüringen und Brandenburg scheint der Einzug in den Landtag wahrscheinlich. Lucke schließt auch eine Regierungsbeteiligung nicht aus, mit wem auch immer.
Die neue FDP hat man sie genannt, und über nichts haben sich die AfD-Fans am Wahlabend mehr gefreut als über das magere Ergebnis der Liberalen - vom eigenen Erfolg natürlich abgesehen. Dauerhaft etabliert in der deutschen Parteienlandschaft wird die AfD aber erst nach erfolgreichen Landtagswahlen sein, meint der Parteienforscher Oskar Niedermayer. „Sie ist auf diesem Weg ein gutes Stück vorangekommen“, sagt er. Also nehmen Lucke und seine Leute jetzt eine Art Umweg über Brüssel.
Ob das der Partei und ihrem Ansehen gut tut, wird man sehen. Ohne Lucke läuft bisher nichts bei der AfD. Auch innerparteiliche Kritiker haben ihm autoritären Führungsstil vorgeworfen. Energisch war und ist er darauf bedacht, alles in der Partei unter Kontrolle zu behalten - auch das öffentliche Erscheinungsbild, was nicht immer glückt.
33 Jahre war Lucke CDU-Mitglied, doch 2012 rief er gemeinsam mit Alexander Gauland und Konrad Adam zunächst die eurokritische „Wahlalternative 2013“ ins Leben. Vor gut einem Jahr gründete er dann die Alternative für Deutschland und trat aus der CDU aus, weil er deren Euro-Rettungspolitik für verfehlt hielt. „Ich beschreibe mich als Christdemokraten, als in der Wolle gefärbten Christdemokraten, der sich von seiner Partei verlassen fühlt“, sagte der 51-Jährige damals.
Lucke ist Professor für Makroökonomie an der Universität Hamburg, er ist verheiratet und hat fünf Kinder. Der Kirchgang am Sonntag nahe seinem Wohnort im südlichen Speckgürtel Hamburgs gehört ebenso zu seinem Leben wie die Präsenz in Talkshows. Überheblichkeit werfen ihm manche vor, so jüngst die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“. In einer TV-Runde etwa, als er bei seinen Mit-Teilnehmern „Kenntnisse über die Zahlen“ vermisste. „Solche Sätze sagt er öfter, sie wollen einfach aus ihm heraus. Dann füllen sie den Raum mit heller, blanker Arroganz.“
Um sein öffentliches Image zu verbessern, lud Lucke vor kurzem Journalisten des „Spiegel“ und der „Zeit“ in sein Haus in Winsen an der Luhe südlich von Hamburg. Ergebnis der „Spiegel-Recherche“: Er trinkt kein Bier, hat keinen Fernseher und auch kein Auto.
Politiker wollte Lucke bisher nicht sein, immer noch ist er vor allem Wirtschaftswissenschaftler. Seine Ideologie sei das Expertentum, schrieb die „Zeit“. Seine Lehrtätigkeit an der Universität Hamburg wird er jetzt für das Mandat im Europaparlament ruhen lassen. Ob ihn das so weit entlastet, dass er Partei und Abgeordnetentätigkeit unter einen Hut bekommt, wird er gefragt. „Ich sehe das im Augenblick relativ entspannt“, sagt er. Andere würden das ja auch hinkriegen mit Parteiführung und Amt, und die seien sogar Minister oder Kanzlerin.