Union nach Gauck-Zerwürfnis wütend auf FDP
Berlin (dpa) - Nach dem Koalitionskrach um die Kür von Joachim Gauck zum Bundespräsidentenkandidaten droht die Union ihrem Regierungspartner FDP mit einer härteren Gangart. In Unionskreisen hieß es am Montag, man wolle keine Rücksicht mehr auf die schlechten Umfrageergebnisse der Liberalen nehmen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) war demnach erbost über den Vorstoß der FDP, den rot-grünen Favoriten Gauck gegen den Willen der Union zu unterstützen. Der 72-jährige Theologe und Bürgerrechtler soll am 18. März von der Bundesversammlung zum Nachfolger von Christian Wulff gewählt werden.
Die Opposition sieht die Bundesregierung kaum noch handlungsfähig. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel betonte, er gehe zwar nicht davon aus, dass die Koalition vorzeitig breche. „Aber Frau Merkel wird sich das, was sie da erlebt hat, auch merken.“ Grünen-Chef Cem Özdemir sagte: „Das Vertrauen selbst in Zeiten des finstersten Kalten Kriegs zwischen den USA und der Sowjetunion war größer als das Vertrauen in dieser Koalition.“
Darstellungen, wonach es wegen des Beharrens der FDP eine tiefe Koalitionskrise gebe, wies Regierungssprecher Steffen Seibert aber am Montag zurück. „Sie brauchen sich um die Koalition, ihren Bestand und überhaupt um die Bundesregierung keine Sorgen zu machen“, sagte er in Berlin. Unionsfraktionsvize Michael Kretschmer sprach hingegen in der „Leipziger Volkszeitung“ von einem „gewaltigen Vertrauensbruch“ der FDP. „Das Verhalten ist symptomatisch für den Zustand der FDP.“
Merkel hatte sich zunächst klar gegen Gauck ausgesprochen, der 2010 im ersten Anlauf gegen den schwarz-gelben Kandidaten Wulff verloren hatte. Er war für eine Mehrheit der Bürger der Wunschkandidat für die Nachfolge des am Freitag wegen staatsanwaltlicher Ermittlungen zurückgetretenen Wulff. Vom Beschluss der FDP für Gauck wurde Merkel kalt erwischt. Um in der Euro-Krise nicht die Koalition platzen zu lassen und so womöglich Turbulenzen an den Börsen auszulösen, war sie am Sonntagabend schließlich auf die FDP-Linie eingeschwenkt. Sie stellte den früheren DDR-Bürgerrechtler als Konsenskandidaten von Union, FDP, SPD und Grünen vor.
Unions-Innenexperte Wolfgang Bosbach sagte N24: „Man sieht sich im Leben immer zweimal.“ Die FDP müsse sich künftig auf Alleingänge der Union einstellen, sagte er zudem dem „Handelsblatt“ (Dienstag). „Wenn die FDP für sich das Recht herausnimmt, ohne Rücksicht auf die Union politische Entscheidungen zu treffen, dann eröffnet das auch für uns Möglichkeiten.“ CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe war im ZDF um Entspannung bemüht: „Die Würde des Amtes und auch das Ansehen von Joachim Gauck verbieten es jetzt, irgendwie nachzukarten“.
Ein Signal für eine mögliche Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP nach der Bundestagswahl 2013 ist die Einigung auf Gauck nach Meinung von SPD-Chef Gabriel nicht. Zugleich zeige sich am Ablauf der Suche einmal mehr ein Grundprinzip der Politik der Kanzlerin: „Wenn sie etwas ausschließt, dann wird's interessant“, sagte Gabriel.
Am 4. März treffen sich die Spitzen von Union und FDP im Koalitionsausschuss wieder. Als Konsequenz aus der Kandidatensuche könnte das Umsetzen wichtiger Projekte schwieriger werden. Etwa bei Themen wie Steuern, der Vorratsdatenspeicherung oder bei dem umstrittenen Urheberrechtsabkommen Acta. Die CSU-Spitze stellte sich ebenso wie die SPD am Montag einmütig hinter den früheren Chef der Stasiunterlagen-Behörde. Über die Auseinandersetzung mit der FDP sei gesprochen worden, hieß es nach Teilnehmerangaben. „Es herrschte aber die einhellige Meinung vor, dass man jetzt nach vorne schaut.“
Die Linke erwägt, einen Gegenkandidaten zu Gauck aufzustellen, der in knapp vier Wochen von Vertretern des Bundestags und der Länder zum 11. Bundespräsidenten gewählt werden dürfte. Eine Entscheidung soll bis Donnerstag fallen. Parteichefin Gesine Lötzsch sagte, als Vertreter des Finanzmarktkapitalismus und Befürworter von Hartz IV sei Gauck ein „Kandidat der kalten Herzen“.
Unions-Fraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier sagte in der ARD, Merkel habe mit ihrer Initiative für einen parteiübergreifenden Konsens dem Land „eine Zerreißprobe erspart mit wochenlangen Diskussionen“. Um eine Alternative zu dem evangelischen Theologen Gauck anzubieten, hatte die Union jedoch auch Hamburgs früheren SPD-Bürgermeister Henning Voscherau ins Spiel gebracht.
Die Entscheidung, ob Wulff der Ehrensold von rund 200 000 Euro pro Jahr zusteht, muss nicht die Bundesregierung, sondern das Präsidialamt treffen. Das sagte eine Sprecherin des Innenministeriums am Montag. Dies sei in der Beamtenversorgungszuständigkeitsanordnung geregelt, und so auch bei Wulffs Vorgänger Horst Köhler praktiziert worden. Wer wann im Bundespräsidialamt eine Entscheidung fällt, ist noch nicht bekannt. Der Sold wird auch bei einem vorzeitigen Ausscheiden „aus politischen oder gesundheitlichen Gründen“ gewährt. Von persönlichen Gründen ist hier aber nicht die Rede.