Viele Griechen ergeben sich ihrem Schicksal
Athen (dpa) - 731 Euro Mindestlohn, eine 13. Monatsrente - die Versprechen von Alexis Tsipras vor eineinhalb Jahren klangen zu schön, um wahr zu sein.
Die Griechen wählten ihn trotzdem, und es kam, wie es kommen musste: Am Sonntag verabschiedete die Regierung des amtierenden Ministerpräsidenten ihr erstes wirklich schmerzhaftes Sparpaket, damit das Land eine Chance auf weitere Hilfsmilliarden hat. Der Widerstandsgeist vieler Menschen ist trotz zahlreicher Streiks und Demonstrationen längst gebrochen.
Nicht nur, dass Tsipras etliche Versprechen nicht erfüllt hat. Der junge, linke Regierungschef brachte es 2015 mit seinem wilden Zickzack-Kurs sogar fertig, die Gläubiger so zu verärgern, dass deren Sparauflagen nun noch weitaus strenger sind, als sie es ursprünglich waren.
Die Zeche zahlt das griechische Volk. Von der Mehrwertsteuer über die Krankenkassenbeiträge bis zu Benzin, Alkohol und der Internetverbindung wird alles teurer. Renten und andere Staatsausgaben werden zusammengekürzt.
„Tsipras hat uns letzten Sommer per Volksabstimmung gefragt, ob wir neuen Sparmaßnahmen zustimmen“, entsinnt sich die Tierärztin Vaia. „Wir haben Nein gesagt, aber danach war es, als ob die Abstimmung nie stattgefunden hätte. Also ist es egal, was das Volk tut oder lässt.“
Nachrichten schaut Vaia schon lange nicht mehr. „Sie machen ohnehin, was sie wollen. Wenn ich optimistisch bleiben will, sehe ich mir das gar nicht erst an.“ Die 30-Jährige hat in ihrer Athener Praxis gut zu tun. „Ich arbeite zwar mehr und verdiene weniger, als es im Ausland der Fall wäre, aber so ist das nun mal. Ich habe hier meine Freunde, meine Familie. Die Sonne scheint. Was soll's? Ich mache weiter.“
Genau so geht es dem Metzger Savvas. „Ich merke, dass ich gleichgültig geworden bin“, sagt der 52-Jährige. Auch er arbeitet mehr und verdient weniger als früher. Schließlich sind die aktuellen Kürzungen und Steuererhöhungen nicht die ersten Maßnahmen, die Griechenland umsetzt. Allein die Renten wurden innerhalb der vergangenen fünf Jahre insgesamt zwölf mal gekappt.
„Unsere Eltern hatten noch Ziele, auf die sie hingearbeitet haben. Die konnten was erschaffen. Das können wir nicht mehr“, meint Savvas. Trotzdem ist er auch ein kleines bisschen optimistisch: „Keine Krise dauert ewig“, hofft er und zückt das Messer, um Schnitzel von einem dicken Stück Schweinefleisch zu säbeln.
„Krise?“, wirft eine ältere Kundin ein. „Fragt mich mal, wie ich als Rentnerin eigentlich noch über die Runden komme! Und dabei wäre ich schon froh, wenn ich kapieren würde, über was die im Parlament überhaupt sprechen. Ich verstehe davon gar nichts mehr, von diesen ganzen Finanzsachen.“
Wer etwas davon versteht, hat schon längst das Weite gesucht: Junge, qualifizierte Menschen gehen ins Ausland, um Arbeit zu finden, Firmen siedeln ins steuerlich sehr viel günstigere Bulgarien oder nach Zypern um. Wirtschaftswachstum? Fehlanzeige. Dem Land schwindet der Mittelstand, es bleiben Arbeitslose über alle Altersklassen hinweg und eine Rentnerschicht, die zunehmen verarmt - und zu einem Gutteil auch noch ihre arbeitslosen Kinder mitversorgen muss.
„Natürlich macht mir das Angst!“, ruft der Blumenhändler Babis. „Zwei Söhne habe ich, beide haben studiert - beide sind sie arbeitslos.“ Der 60-Jährige sagt von sich, er sei der Sache nicht mal nur mehr überdrüssig, sondern fühle sich geradewegs hoffnungslos. Mit 1400 Euro Rente hatte er nach 42 Jahren Arbeit ursprünglich gerechnet, nach den vielen Kürzungen wird er wohl knapp 700 Euro kriegen.
Dass die Griechen sich kaum noch gegen die Maßnahmen wehren, findet Babis bezeichnend: „Wir sind wie gelähmt, wir glauben nicht mehr, dass sich noch was ändert.“ Er selbst war vor wenigen Tagen bei einer Rentner-Demo. „Ich bin hin gegangen, wir haben ein bisschen rumskandiert, und dann sind wir halt alle wieder nach Hause gegangen“, sagt er desillusioniert. „Man muss sich nur vorstellen: Die Bauern haben im Frühjahr fünf Wochen lang das ganze Land blockiert - und selbst die haben irgendwann aufgegeben.“
Bei bockigen Bauern aber fällt Babis ein, dass sein Bruder auf Kreta ziemlich guten Schnaps brennt. Das ist eigentlich auch ein viel schöneres Thema. Hätte Metzger Savvas jetzt Zeit, würde er sich direkt dazusetzen, um zu probieren. „Uns geht es hervorragend schlecht“, sagen die Griechen, wenn sie trotz allen Kummers ihrer Freude am Essen und Beisammensitzen frönen. Man muss ja dabei nicht ausgerechnet über Politik und Finanzen reden.