Sein letztes Album Voller Todesahnung: Leonard Cohens düstere Abschiedslieder
Berlin (dpa) - Wer hören wollte, dass Leonard Cohen mit seinem Leben zumindest ein Stück weit abgeschlossen hat, konnte das seit drei Wochen tun. Am 21. Oktober erschien „You Want It Darker“, sein nunmehr letztes Album.
Es ist - dem Titel entsprechend - an textlicher Düsterkeit und dunklen Vorahnungen kaum zu überbieten. Die Platte dürfte nun, mit dem Tod des kanadischen Songpoeten, als eine Art Nachruf auf sich selbst in die Musikgeschichte eingehen.
„I'm ready, my Lord“, („Ich bin bereit, Herr“) lautet eine der zentralen Zeilen des Titelsongs, die auf den vor der Tür stehenden Tod hindeutet. Der zeitweise gläubige Jude Cohen raunt das Lied mehr, als dass er es singt, seine Stimme klingt grabestief. Dazu hört man im Hintergrund einen Synagogen-Chor, der die sakrale, fast jenseitige Stimmung noch verstärkt. In einem anderen Song formuliert Cohen die Ahnung der eigenen Endlichkeit anders, aber kaum weniger deutlich: „I'm leaving the table“ - frei übersetzt: „Ich trete ab“.
Nun hat Leonard Cohen „seit seinen frühesten Versen“ und häufig vom Tod gesungen, wie „The New Yorker“ schrieb - aber auch, oft auf demselben Album, von Liebe und Sex, Rausch und Ernüchterung, Religion und Politik, Philosophischem und Persönlichem.
Im Falle von „You Want It Darker“ kam jedoch noch ein Interview des Magazins hinzu, in dem er erzählte, angesichts rapide nachlassender Gesundheit könne er einige noch unfertige Songs wohl nicht mehr beenden, und auch mit Konzerten werde es schwierig. Die Zukunft sei ungewiss und er „zum Sterben bereit“, sagte Cohen dem „New Yorker“. Und fügte lakonisch hinzu: „Ich hoffe, es wird nicht allzu unbequem.“
Cohen erzählte in diesem Zusammenhang auch vom späten Kontakt zu einer langjährigen Liebe, die er im wunderbaren „So Long Marianne“ verewigt hatte. Kurz vor Marianne Ihlens Tod hatte das einstige Paar noch einmal Kontakt. Sie litt an Krebs, da schrieb Cohen ihr im Juli: „Also, Marianne, es ist jetzt so, dass wir beide wirklich so alt geworden sind, dass unsere Körper auseinanderfallen. Und ich denke, ich werde Dir bald nachfolgen. Du sollst wissen, dass ich so nah hinter Dir bin, dass Du, wenn Du deine Hand ausstreckst, die meine erreichen kannst.“ Wenige Tage später starb Marianne. Nach Angaben ihrer Familie hat sie den Brief gelesen - was Cohen tröstete.
Das Thema Todesahnung versuchte der Sänger zwar kurz vor dem Erscheinen von „You Want It Darker“ nochmal zu zerstreuen, indem er bei einer überraschend launigen Pressekonferenz sagte, er werde 120 und habe noch viel vor. Allerdings mischte sich auch in diese - von vielen Fans mit Erleichterung aufgenommenen - Statements Skepsis angesichts des hohen Alters von 82 Jahren.
Wie auch immer man diese unterschiedlichen Aussagen zu Abschied und Loslassen deutete: Sein Album ist, wie man jetzt weiß, einigermaßen wörtlich zu nehmen. Schon das schwarz-weiße Plattencover - der Künstler blickt skeptisch durch einen hellen Rahmen in die Dunkelheit - unterscheidet sich ja grundlegend von den bunten Artworks der Vorgänger „Old Ideas“ (2012) und „Popular Problems“ (2014).
Die größten Songwriter der Popmusik sind allesamt im Rentenalter - Bob Dylan, Paul McCartney, Mick Jagger, Paul Simon, Neil Young, Joni Mitchell und Van Morrison haben die 70 hinter sich. Und manch einer von ihnen beschäftigt sich auch mal in einem Lied mit der Möglichkeit seines Todes. Ein so konsequent spirituelles Album wie „You Want It Darker“ konnte aber wohl nur der ewige Sinnsucher Cohen - zugleich der Älteste unter den genannten Pop-Ikonen - abliefern.
Seiner elegischen Grundstimmung entsprechen die Arrangements der zehn leisen Lieder. Hauchzarte Streichersätze erinnern an klassische Kammermusik. Klavier und Orgel prägen die melodische Substanz. Der alte Herr flüstert und seufzt seine nachdenklichen Zeilen, selbst die früher oft überpräsenten Frauenchöre bleiben verhalten.
Dieses sofort weltweit als spätes Meisterwerk gefeierte Album ist also ein würdiger Abschluss der Karriere des hinter Dylan wohl zweitwichtigsten Dichters der Popmusik. „Wer weiß, vielleicht bekomme ich ja noch einen zweiten Atem, ich weiß es nicht“, sagte Cohen dem „New Yorker“ auch noch. Es sollte nicht mehr sein.