Was passiert mit Griechenland?
Frankfurt/Main (dpa) - Griechenland steuert in eine ungewisse Zukunft. Noch dreht die Europäische Zentralbank (EZB) den Geldhahn für die Banken des Landes nicht zu, doch den Instituten geht das Geld aus.
Und am Dienstag (30.6) läuft das aktuelle Hilfspaket aus, frische Rettungsmilliarden für den Staat sind trotz monatelangem Gezerre mit den internationalen Geldgebern nicht in Sicht.
Was bedeutet die EZB-Entscheidung vom Sonntag?
Die Europäische Zentralbank (EZB) friert die Notkredite für Griechenlands Banken bei rund 90 Milliarden Euro ein. Dieser Rahmen ist dem Vernehmen nach bereits ausgeschöpft, die Banken brauchen dringend frische Milliarden. Verunsicherte Verbraucher und Unternehmen heben seit Monaten große Mengen Bargeld von ihren Konten ab und schaffen zumindest einen Teil davon ins Ausland. Dass der Schuldenstreit kurz vor Auslaufen des Hilfsprogramms noch immer nicht gelöst ist, dürfte den Druck auf die Banken erhöhen. Das setzt Athen unter Zugzwang zu reagieren und Abhebungen sowie Transfers ins Ausland mit Kapitalverkehrskontrollen zu begrenzen.
Dürfen die Notkredite unbegrenzt fließen?
Seit Monaten gewährt die EZB den Hellas-Banken Notkredite (Emergency Liquidity Assistance/Ela). Die Ela-Hilfen sind als vorübergehende Unterstützung für Banken gedacht, die im Grunde gesund sind. Zuletzt mehrten sich die Zweifel, dass diese Voraussetzungen im Fall der griechischen Institute erfüllt sind. Auch im EZB-Rat wuchs der Widerstand. Das Gremium entscheidet regelmäßig über die Genehmigung der Kredite, die von der griechischen Zentralbank vergeben werden. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann kritisiert, Ela-Kredite seien zur einzigen Finanzierungsquelle der griechischen Institute geworden. Das nähre Zweifel an deren Solvenz.
Kann die EZB die Notkredite stoppen?
Der EZB-Rat könnte die Kredite mit Zwei-Drittel-Mehrheit stoppen. Bislang scheut die Mehrheit in dem Gremium davor zurück, den Geldhahn zuzudrehen. Die Zentralbanker wollen nicht die Verantwortung für eine derart weitreichende politische Entscheidung übernehmen. Denn ohne die Notkredite droht den griechischen Instituten die Pleite, weil sie auf herkömmlichem Weg kein frisches Geld mehr von der EZB bekommen und zugleich Bankkunden ihre Konten leerräumen. Sitzen die Banken auf dem Trockenen, droht eine Abwärtsspirale in Griechenland, denn die Banken halten in großem Umfang Anleihen des griechischen Staates, die bei einer Staatspleite faktisch wertlos wären.
Was passiert nach Auslaufen des aktuellen Hilfspakets am Dienstag?
Ohne Einigung auf ein Reformpaket fließen 15,5 Milliarden Euro Hilfen nicht, die die Geldgeber - Internationaler Währungsfonds (IWF), EZB und die Partner in Europa - zuletzt in Aussicht gestellt hatten. Da Athens Kassen ohnehin im Grunde schon leer sind, wird es für die Links-Rechts-Regierung schwierig, ihre finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen - sowohl in der Heimat als auch gegenüber den Geldgebern. Es ist fraglich, ob Griechenland die ebenfalls am 30. Juni fällige Rückzahlung an den IWF in Höhe von rund 1,6 Milliarden Euro leisten kann. Moritz Kraemer, Chefanalyst des Ratingriesen Standard & Poor's (S&P) für die Bewertung der Kreditwürdigkeit von Staaten, ist skeptisch: „Die Regierung in Athen muss zum Monatsende nicht nur den IWF bezahlen, sondern auch ihre eigenen Bediensteten und Pensionäre - und auch dafür ist nach unsere Einschätzung kein Geld mehr da.“
Muss Griechenland dann am 1. Juli die Staatspleite erklären?
Eine Zahlungsunfähigkeit schon unmittelbar am 1. Juli bei endgültig gescheiterten Verhandlungen gilt als ausgeschlossen - zumal es keine verlässlichen Zahlen gibt, wie viel Geld Athen tatsächlich noch in der Kasse hat. Zudem hat das Parlament beschlossen, am 5. Juli die Griechen über das von den Geldgebern vorgelegte Spar- und Reformpaket abstimmen zu lassen. Auch das zieht die Entscheidung in die Länge.
Folgt nach der Staatspleite zwingend der Euro-Austritt Griechenlands?
Nein. Der EU-Vertrag sieht nicht vor, dass ein Land aus dem Euro austritt. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) betont: „Im Übrigen ist auch klar: Griechenland bleibt Mitglied der Eurozone. Übrigens bleibt Griechenland Teil Europas.“ Viele Ökonomen jedoch halten einen Austritt Griechenlands aus dem Euroraum („Grexit“) im Falle einer Staatspleite für wahrscheinlich. Zwar könnte das Land zunächst auf dem Papier ein Euroland bleiben, müsste aber Geld in einer eigenen Währung ausgeben, um seine Banken zu versorgen. „Die neue Währung würde abwerten gegenüber dem Euro, und damit würde das Land wieder wettbewerbsfähig“, erklärt ifo-Präsident Hans-Werner Sinn. Doch grundsätzliche Probleme blieben - etwa eine als aufgebläht geltende Verwaltung und ein als ineffizient geltendes Steuersystem.
Wie reagieren die Ratingagenturen?
Sollte Athen die rund 1,6 Milliarden Euro nicht pünktlich an den IWF zahlen, wäre das für Ratingagenturen kein Anlass, sofort den Daumen zu senken. Der IWF wie die EZB gilt für Ratingriesen wie S&P als offizieller Gläubiger, für die andere Maßstäbe gelten. Nach Einschätzung von S&P-Experte Kraemer ist der nächste Termin, an dem es einen technischen Zahlungsausfall geben könnte und die Bonitätsprüfer gezwungen sein könnten, die Note „SD“ für „selective default“ (teilweiser Zahlungsausfall) zu vergeben, der 8. Juli. Dann müsse der griechische Staat zwei Milliarden Euro Kurzfristanleihen (T-Bills) tilgen, die vor allem von griechischen Banken gehalten werden. Ein „SD“ ist für Investoren Alarmstufe Rot, weil es signalisiert, dass ein Schuldner Geld nicht wie versprochen zurückzahlt. Die meisten Investoren haben Griechenland aber ohnehin schon den Rücken gekehrt.
Hat Athen Chancen auf ein drittes Hilfspaket?
Seit 2010 gab es zwei Rettungsprogramme für Athen mit einem Umfang von insgesamt rund 240 Milliarden Euro. In den Verhandlungen der vergangenen Monate hatte die Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras versucht, einen Schuldenerlass und somit faktisch ein drittes Hilfspaket zu erzwingen. Doch beim EU-Gipfel in der vergangenen Woche hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande ein drittes Hilfspaket erneut ausgeschlossen.
Nachdem die Griechen die laufenden Verhandlungen mit der Ankündigung eines Referendums torpedierten, ist das Vertrauen der Europartner in die Regierung Tsipras zusätzlich beschädigt. Nach Ansicht des österreichischen Finanzministers Hans Jörg Schelling ist Griechenland bei seinem Poker zu weit gegangen: „Ich glaube, dass Griechenland unterschätzt hat, dass die Eurogruppe sich nicht erpressen lässt.“