Wie im „Paten“? Empörung über EZB-Personalie Draghi

Brüssel (dpa) - Der Vergleich mag übertrieben scheinen, doch auf dem EU-Gipfel in Brüssel fühlte sich manch ein Beteiligter an den „Paten“ erinnert. „Was hier passiert, ist ungeheuerlich“, sagte ein Diplomat und sprach von Mafia-Methoden.

In dem Film mit der Hollywood-Legende Marlon Brando wird eindrücklich gezeigt, wie man ein Opfer mit vorgehaltener Pistole erfolgreich unter Druck setzt. „Er machte ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte“ - dieser Satz ist legendär.

Was die Gemüter in Brüssel so in Aufregung versetzte, war eine Personalentscheidung für die Europäische Zentralbank (EZB). Überraschend - und natürlich „völlig freiwillig“, wie alle versicherten - erklärte der Italiener Lorenzo Bini Smaghi seinen Rückzug aus dem Direktorium der Notenbank. Der Ökonom aus Florenz räumt seinen Posten, damit ein Franzose in das Leitungsgremium einziehen kann. Sonst wäre Paris nicht mehr vertreten, wenn der Italiener Mario Draghi im Herbst auf den Sessel des Präsidenten rückt.

Die Staatenlenker taten ihr Bestes, um die Sache herunterzuspielen. Niemand habe Druck ausgeübt, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Ich glaube, dass die Unabhängigkeit der EZB voll gewahrt ist.“ Und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy erklärte: „Es gibt eine Regel der geografischen Ausgewogenheit, das stellt nicht die Unabhängigkeit von irgendjemandem in Frage.“

Doch wochenlang hatte der Geldpolitiker Bini Smaghi, dessen Amtszeit noch zwei Jahre läuft, einen Rückzug verweigert: „Ich habe einen Job bis 2013, also liegt meine Zukunft hier.“ Am Ende war der Druck aus den europäischen Hauptstädten zu groß. Frankreich drohte mit einer Blockade der Personalie Draghi, Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi verlangte öffentlich den Rückzug Bini Smaghis. Gipfelteilnehmer beschrieben das Szenario mit den Worten: „Bini Smaghi muss weg, egal wie.“

Die Personalie hat extreme Brisanz, weil sie ein ehernes Gesetz der Europäischen Zentralbank verletzt: ihre Unabhängigkeit. Die Gründungsväter haben im Statut festgeschrieben, dass die EZB keine Weisungen von Regierungen oder Mitgliedsstaaten „einholen oder entgegennehmen“ darf. Artikel 7 garantiert, dass die EZB ihre Aufgabe, den Wert des Geldes stabil zu halten und die Inflation zu bekämpfen, ohne Einmischung der Politik erfüllen kann. Mitglieder werden für acht Jahre unwiderruflich in das Führungsgremium berufen. Besonders treffend hat der erste EZB-Präsident Wim Duisenberg alle Einmischungsversuche abgelehnt: „Ich höre sie, aber ich höre nicht auf sie.“

Was die Gründungsväter aber nicht voraussehen konnten, war die Euro-Krise. Seit mehr als einem Jahr haben Schuldensünder wie Griechenland, Irland und Portugal die Währungsunion wieder und wieder an den Rand des Abgrunds gebracht - und die Grenzen zwischen Politik und Geldpolitik verwischt. Die EZB steht im Zentrum des Krisenmanagements und muss handeln.

Kritiker sprechen vom schon zweiten Sündenfall der formal unabhängigen EZB. Auf Druck der Politik begann sie vor einem Jahr, Staatsanleihen maroder Länder zu kaufen, um ihnen die Finanzierung zu erleichtern. Die Aktion sei genau das Gegenteil ihres Auftrags, stabiles Geld zu bewahren. Denn nun fließen Milliarden von Euro auf den Kapitalmarkt, die letztlich zu Preissteigerungen führen könnten.

Bundesbank-Chef Axel Weber - ein Hardliner in der Verteidigung des „harten Euro“ - hatte immer wieder gefordert, dass man „besser früher als später“ aus dem Kaufprogramm aussteige. Als er kein Gehör fand, trat der Ökonom zurück, und das, obwohl er gute Chancen auf die Nachfolge an der EZB-Spitze hatte. Webers Rücktritt machte Deutschlands Chancen auf die Führung der Notenbank zunichte. „Das Personalgerangel ist ein Armutszeugnis für Deutschland und alle EU-Staaten“, sagte ein Diplomat.

Mancher erinnerte sich in Brüssel an das Jahr 1998 erinnert. Damals akzeptierte der französische Präsident Jacques Chirac die Ernennung des Niederländers Wim Duisenberg zum ersten Zentralbank-Chef nur unter der Voraussetzung, dass er nach vier Jahren sein Amt an den Franzosen Trichet übergab. Und auch damals hieß es schon, niemand habe sich eingemischt.