Aussitzen und Abwarten Wie sich Fluglinien um Entschädigung drücken
Hannover/Berlin (dpa) - Der ersehnte Herbsturlaub endet für Familien in der Wartehalle des Flughafens, andere stecken länger als geplant am Urlaubsort fest: Die Ausfälle bei Tuifly und Air Berlin dürften dem Kundenservice der Fluggesellschaften in den kommenden Wochen bergeweise Beschwerdepost bescheren.
Eigentlich müssen Airlines Fluggäste entschädigen, wenn nicht höhere Gewalt die Probleme verursacht. Doch mit Drückebergerei und Verzögerungstaktik sparen Europas Fluglinien jedes Jahr Milliarden. Fehlendes Wissen und die geringe Streitlust vieler Geschädigter tut ein Übriges dazu.
Nadine M. kennt das Spiel. Mit Ehemann und zwei kleinen Kindern war die Mutter vor zwei Jahren mit Air Berlin auf Korfu. Der Ärger begann auf der Rückreise. Erst nach langem Warten am Flughafen erfuhr die Familie, dass der Flug auf den nächsten Tag verschoben wurde - weil die verspätete Maschine nicht mehr rechtzeitig vor dem Nachtflugverbot in Frankfurt landen würde. Erst nach einer weiteren Nacht im Hotel ging es am nächsten Nachmittag zurück in die Heimat.
Mehr als drei Stunden Verspätung, da hätte jeder Passagier bei der Fluglinie laut EU-Recht 250 Euro einfordern können - satte 1000 Euro im Fall von Familie M.. Doch die Kontaktaufnahme mit Air Berlin erwies sich als Spießrutenlauf. Eine Beschwerdeadresse war nur über Umwege herauszufinden, und dann kam als Antwort auf E-Mails oft nur eine Eingangsbestätigung. Erst nach monatelangem Hin und Her hatte M. Erfolg. Air Berlin bot der Familie einen Fluggutschein an - der fast für den nächsten Urlaubsflug reichte.
Damit gehören die M.s zu der Minderheit der Geschädigten, die ihre Ansprüche geltend machen - und sogar ohne Anwalt durchsetzen können. Schon seit 2005 haben Fluggäste, deren Flug in der Europäischen Union startet oder von einer EU-Fluggesellschaft angeboten wird, bei Ausfällen und längeren Verspätungen Anspruch auf bis zu 600 Euro Entschädigung. Doch nur ein Bruchteil werde durchgesetzt, sagt Philipp Kadelbach, Geschäftsführer des Flugrechtsportals Flightright. Viele Menschen wollten nichts mit Juristen zu tun haben, andere wüssten nicht über ihre Rechte Bescheid.
Laut Flightright hatten Flugreisende in Deutschland im vergangenen Jahr theoretisch Anspruch auf Entschädigungen von bis zu 780 Millionen Euro - doch nur rund 15 Prozent seien ausbezahlt worden. In der EU samt Schweiz, Norwegen und Island hätten die Airlines von 5,4 Milliarden Euro möglicher Ansprüche nur 800 Millionen an ihre Kunden überwiesen. Selbst wenn ein Fünftel der ersparten Summe auf nicht-europäische Fluggesellschaften entfällt, würde eine Durchsetzung aller Ansprüche kräftig an den Gewinnen hiesiger Airlines zehren. Von umgerechnet 9,4 Milliarden Euro, die Europas Fluglinien 2015 laut dem Branchenverband IATA vor Zinsen und Steuern verdienten, wären fast 40 Prozent in Gefahr.
Schon so steht die Branche notorisch unter Druck. Viele Fluglinien fliegen Verluste ein, Air Berlin steht nach jahrelangen Defiziten vor der Zerschlagung. Kein Wunder, dass viele Airlines versuchen, sich um Entschädigungszahlungen zu drücken. „Das mit der versteckten Kontaktadresse ist natürlich Teil der Taktik, es dem Kunden nicht besonders einfach zu machen bei der Kontaktaufnahme“, sagt Kadelbach. Andere Unternehmen versuchten, die Kunden hinzuhalten oder mit Essensgutscheinen über 50 Euro abzuspeisen. Am Ende geht es meist um die Ursache der Ausfälle und Verspätungen: „Lange Zeit haben praktisch alle Fluggesellschaften „höhere Gewalt“ gerufen, sobald ein Kunde Entschädigung einforderte“, berichtet der Flightright-Chef.
Laut Rechtsprechung gilt dieses Argument aber nur für Ereignisse, die die Fluggesellschaft nicht beeinflussen kann - dazu zählen etwa Unwetter. Bei Streiks ist dies nicht unumstritten. Das sehen die Gerichte in einzelnen Ländern sehr unterschiedlich. Technische Pannen hingegen sind normalerweise ebenso das Problem der Airline wie erkrankte Mitarbeiter. Ob das auch für massenhafte Krankmeldungen wie derzeit bei Tuifly gilt, müssen wohl die Gerichte klären.
Reiserechtler Ronald Schmid vom Flugrechtsportal Fairplane sieht wie Flightright-Chef Kadelbach jedenfalls die Airlines in der Pflicht: Eine Krankheitswelle sei Sache der Fluggesellschaft - außer, sie könne nachweisen, das es sich dabei in Wirklichkeit um einen „wilden Streik“ handle, sagt Schmid. Er ist sich sicher: „Das wird für die Veranstalter und die Fluggesellschaften eine teure Angelegenheit.“
Beim Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) will man den Umgang der Airlines mit Entschädigungsansprüchen nicht kommentieren. Mit Blick auf die gewinnorientierten Flugrechtsportale verweist der BDL allerdings auf die Schlichtungsstelle für den Personenverkehr - die sei für die Verbraucher kostenlos.