WM-Trends: Kaum Tore, hohe Athletik, enge Spiele
Frankfurt/Main (dpa) - Weniger Tore und engere Spiele durch höhere Athletik und verstärkte defensive Disziplin: Wegen seiner zunehmenden Ausgeglichenheit ist der Frauenfußball bei dieser WM spannender, aber nicht in allen Fällen auch attraktiver geworden.
Nach einer phasenweise zähen Vorrunde sorgten allerdings besonders das variable Kurzpassspiel von Weltmeister Japan und der Powerstil der unterlegenen Amerikanerinnen in der K.o.-Phase für Begeisterung bei Experten und Fans. Für die deutsche Auswahl gilt es nach dem enttäuschenden Viertelfinal-Aus eine in mehreren Punkten verschlafene Entwicklung wieder aufzuholen.
„Früher waren es die USA, Deutschland und Brasilien, die den Trend bestimmt haben“, sagte die frühere Bundestrainerin Tina Theune, die das Turnier für den Weltverband FIFA als Mitglied der Technischen Studiengruppe (TSG) analysiert hat. „Nun fühlen sich auch andere Teams wohl in dieser Rolle.“
Während sich offensiv bei den Finalteilnehmern Welten zwischen Japans Kombinationsfußball und dem amerikanischen Kraft-Kick auftun, hat die TSG im Abwehrverhalten zahlreiche Gemeinsamkeiten festgestellt. „Viele Teams haben ihr Spiel gegen den Ball perfektioniert und agieren mit flexiblen Pressingstrategien und schnellem Umschalten“, erklärte Theune, deutsche Weltmeistertrainerin von 2003. So wurde bis zum Finale mit 2,69 Toren im Schnitt der bisherige Minusrekord der WM 2003 (3,34) deutlich unterboten.
Da inzwischen auch Außenseiter wie Kolumbien oder Neuseeland zumindest das Verteidigen gelernt haben, ist die Zeit der Kantersiege wie beim 11:0 der deutschen Elf gegen Argentinien vor vier Jahren vorbei. „Sehr viele Mannschaften, die schon länger dabei sind, wirken athletischer, konditionell und körperlich fit“, meinte OK-Chefin Steffi Jones. „Deshalb ist es auch dichter geworden.“
So endeten knapp zwei Drittel der Partien (21) unentschieden oder wurden mit einem Tor entschieden, bei vorherigen Weltturnieren gab es dies nicht einmal bei der Hälfte aller Spiele. Nur fünf Duelle endeten mit drei oder mehr Treffern Unterschied, 2003 waren es noch dreimal so viele. Mit vier Verlängerungen und drei Elfmeterschießen wurden jeweils Rekorde aufgestellt. „Es gibt keine schwachen Mannschaften mehr“, begründete FIFA-Präsident Joseph Blatter die Aufstockung bei der kommenden WM 2015 in Kanada von 16 auf 24 Teams.
Den Unterschied für die Topteams zu den Entwicklungsländern machen mehr als zuvor defensive Mittelfeldspielerinnen, die gleichzeitig als Regisseurin ihre Mannschaft dirigieren. Herausragend in der Zentrale agierte neben dem amerikanischen Duo Shannon Boxx und Carli Lloyd vor allem die Japanerin Homare Sawa. „Sie ist Balljägerin, Schaltstation im Spielaufbau und gleichzeitig Goalgetterin. Sie gehört definitiv zu den komplettesten Spielerinnen“, lobte Theune.
Das Beispiel Sawa machte beim direkten Vergleich im Viertelfinale ein deutsches Dilemma deutlich: Seit dem Karriereende von Renate Lingor vor drei Jahren hat es Bundestrainerin Silvia Neid verpasst, eine Spielmacherin in ihr Team zu integrieren. „Ich denke, dass wir beim Aufbau ganz große Mängel hatten. Das Spiel wurde mit langen Bällen eröffnet, die es vorher nie gegeben hat“, sagte der frühere Bundestrainer Gero Bisanz. „Von der Sechser-Position müssen Impulse kommen, die das Spiel führen. Da sehe ich zu wenig Kreativität und Engagement. Der kluge Pass in die Spitze fehlte komplett.“
Auf der zweiten Schlüsselposition war bei den deutschen Außenverteidigerinnen zu wenig von der modernen, offensiven Interpretation zu sehen wie sie Japans Aya Sameshima, Sonia Bompastor (Frankreich) oder US-Girl Ali Krieger zeigten. Zudem scheint Fachleuten das ausschließliche Festhalten Neids am körperlich robusten Spielerinnentypus nicht mehr zeitgemäß. „Es wäre wünschenswert gewesen, dass die Bundestrainerin auch mal erkannt hätte, dass man auch mit weniger als 1,70 Metern Körperlänge gut Fußball spielen kann“, kritisierte Bayern Münchens Trainerin Karin Danner in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.
Nachdem sich die Teams in der physischen Ausbildung angenähert haben, muss aus Sicht der FIFA-Expertinnen nun das Augenmerk auf ein „intelligentes Spiel“ gelegt werden. „Kleinigkeiten wie die Ballannahme und die Antizipation, aber auch die technischen Mittel, sich souverän aus schwierigen Situation zu lösen und Akzente zu setzen, sind immer wichtiger“, erläuterte Theune. Die entscheidenden Situationen liefen inzwischen in Sekundenbruchteilen ab. „Darauf müssen Weltklassespielerinnen von heute und morgen vorbereitet sein.“