Ein „Jahr schwerer Prüfungen“ Würzburg, Ansbach, Berlin, Aleppo

Berlin (dpa) - Vier Städtenamen hebt die Kanzlerin in ihrer zwölften Neujahrsansprache hervor, der zweiten hintereinander zu den Folgen der Flüchtlingskrise: Würzburg, Ansbach, Berlin - aber eben auch das zerbombte Aleppo in Syrien.

So verknüpft Angela Merkel die beiden Pole ihrer umstrittenen Politik: den Kampf gegen einen „hasserfüllten“ islamistischen Terrorismus, der auch Deutschland dieses Jahr mit voller Wucht getroffen hat - und die Hilfsbereitschaft für alle, „die tatsächlich unseren Schutz brauchen“. Diese fünf Worte benutzt Merkel zweimal, auch das ist vielsagend nach einem „Jahr schwerer Prüfungen“.

Denn zwischen den Neujahrsansprachen elf und zwölf hat sich viel verändert. Nicht zuletzt Merkels Asylpolitik und, bei aller Hartleibigkeit gegenüber den „Obergrenze!“-Forderungen der CSU, auch ihre Wortwahl.

Am 31. Dezember 2015 beschwor die CDU-Politikerin noch „die heutige große Aufgabe des Zuzugs und der Integration so vieler Menschen“, lobte die freiwilligen Helfer der Willkommenskultur für ihr „großartiges bürgerschaftliches Engagement“, sprach von einer „Chance von morgen“ durch neue Vielfalt. Das Wort Hass verband Merkel damals mit denen, die „ein Deutschsein allein für sich reklamieren und andere ausgrenzen wollen“. Die Adressaten: Rechtspopulisten, Pegida-Bewegung, ausländerfeindliche Hetzer, Neonazis.

Für deren Treiben hat Merkel auch jetzt keinerlei Verständnis, plädiert vielmehr im hinteren Teil ihrer Ansprache zum Jahreswechsel 2016/17 für „einen offenen Blick auf die Welt“. Doch insgesamt sind ihre Worte diesmal von der tiefen Erschütterung durch den Terror geprägt, der sich in einem Regionalzug bei Würzburg, am Rande eines Musikfestivals in Ansbach und zuletzt auf dem Berliner Weihnachtsmarkt mit zwölf Toten so verheerend auswirkte.

Dass es Menschen gab, die mit der Tarnung als Flüchtling oder Asylbewerber grausame Terrorpläne umsetzten, hat Merkel nicht nur wegen ihres auch damit verbundenen Popularitätseinbruchs geschockt. Hier geht es um eine ganz persönliche Enttäuschung, um eine tiefe Verletzung politischer Moralvorstellungen.

Sie sagt: „Es ist besonders bitter und widerwärtig, wenn Terroranschläge von Menschen begangen werden, die in unserem Land angeblich Schutz suchen. Die genau deshalb die Hilfsbereitschaft unseres Landes erlebt haben und diese nun mit ihren Taten verhöhnen. Wie sie auch diejenigen verhöhnen, die tatsächlich unseren Schutz brauchen und verdienen.“ Solche Worte hat die Kanzlerin in diesem oft furchtbaren Jahr schon mehrfach benutzen müssen - in einer grundsätzlich optimistisch angelegten Neujahrsansprache klingen sie indes besonders eindringlich.

Die Zuversicht kommt dennoch nicht zu kurz - freilich weniger im Zusammenhang mit den Flüchtlingen. Diesen müsse geholfen werden, „hier bei uns Tritt zu fassen und sich zu integrieren“. Optimistisch stimmen Merkel Demokratie, Rechtsstaat und gemeinsame Werte in Deutschland als „Gegenentwurf zur hasserfüllten Welt des Terrorismus“.

Das sind diesmal die klarsten Mutmacherworte der Kanzlerin. Der demokratische Rechtsstaat sei stärker als der Terror, notwendige Maßnahmen für mehr Sicherheit werde ihre Regierung „schnellstens in die Wege leiten und umsetzen“. Der „Welt des Hasses“ müssten Mitmenschlichkeit und Zusammenhalt entgegengesetzt werden.

Am Abend des 19. Dezember, als die ersten Meldungen von einem Lastwagen-Vorfall an der Berliner Gedächtniskirche eintrafen, war Merkel mit Integrationshelfern im Kanzleramt. Sie wusste, dass viele Bürger einen direkten Zusammenhang zwischen großzügiger Hilfe für Flüchtlinge und dem Einbrechen des islamistischen Terrorismus in die vermeintlich heile deutsche Welt sehen. Auch als die Bluttat vom Breitscheidplatz als Terroranschlag erkennbar wurde, blieb Merkel aber standhaft: „Wir werden die Kraft finden für das Leben, wie wir es in Deutschland leben wollen: frei, miteinander und offen.“

In der Union kam das nicht überall gut an. Merkel müsse deutlich machen, dass Migranten nicht mehr nur als Bereicherung empfunden würden, denn keine Gesellschaft halte auf Dauer die Angst aus, dass unter etwa einer Million Flüchtlingen im Land mutmaßliche Terroristen seien. Auch mit ihrer Neujahrsansprache hat die Kanzlerin keinen Kotau vor den Hardlinern gemacht. Aber zur Zuversicht gesellen sich nun Empörung und Traurigkeit.