Analyse Zickzack in die Groko? Schicksalstage für die SPD
Berlin (dpa) - Ernst und angestrengt sehen sie aus. Der schwierigen Lage angemessen. Das vermitteln die wenigen Fotos, die vom Treffen des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier mit SPD-Chef Martin Schulz im Umlauf sind.
Länger als die angesetzten 60 Minuten dauert das Gespräch der Parteifreunde, die sich seit Jahrzehnten kennen, aber persönlich nie warm miteinander wurden. Aber darum geht es am Donnerstag nicht. Sondern darum, wer nach dem Platzen der Jamaika-Sondierungen künftig Deutschland regiert.
Vom Schloss Bellevue lässt sich Schulz zurück in die SPD-Parteizentrale kutschieren. Im Willy-Brandt-Haus treffen gegen 17.00 Uhr alle wichtigen Genossen ein, um die Lage zu bewerten. Einer ist auch dabei, der im Moment gar kein Parteiamt hat und somit nicht zur engeren Führung zählt. Sigmar Gabriel. Er war der Architekt der großen Koalition von 2013. Wer, wenn nicht er, weiß, wie man die seit dem Wahlabend auf Opposition getrimmte SPD-Basis wieder Richtung Groko dreht? Schulz alleine trauen dies jedenfalls viele in der Parteispitze und in der Bundestagsfraktion nicht zu.
Der Abbruch der Jamaika-Gespräche durch die FDP hat die SPD kalt erwischt. Nichts war vorbereitet. Jeder erzählt, was er für richtig hält. Fast stündlich melden sich mehr oder weniger prominente Sozialdemokraten zu Wort, die ein Abrücken von dem apodiktischen Groko-Nein verlangen. Die mächtige SPD-Linke legte bereits eine lange, sehr teure Wunschliste von Steuererhöhungen bis zur solidarischen Bürgerversicherung vor, die man der Kanzlerin bei möglichen Sondierungen unter die Nase halten müsse.
In zwei Wochen ist Parteitag. Dort wollte die SPD den Fahrplan für die Erneuerung in der Opposition bis 2021 festlegen. Doch jetzt müssen die Genossen nach dem Jamaika-Ende den Turbo-Gang einlegen, von kollektiver Depression auf Mut zur Gestaltung trotz aller Risiken umschalten.
Lässt die SPD aus staatspolitischer Pflicht ihr Nein zur großen Koalition hinter sich und hält Angela Merkel an der Macht? Das wird der Schulz-Rivale, Hamburgs Regierungschef Olaf Scholz in einer Talkrunde im ZDF gefragt. Will er, Scholz, in diesem historischen Moment selbst den Vorsitz der lädierten ältesten deutschen Partei übernehmen, weil es unüberhörbare Zweifel im eigenen Laden an Schulz gibt?
Die hanseatische SPD-Sphinx lässt sich nichts entlocken. „Ich habe noch nie aus meinem Inneren geplaudert.“ Seit der krachenden Wahlniederlage vor zwei Monaten, als die SPD auf historisch schlechte 20,5 Prozent abstürzte, hat Scholz den eigenen Vorsitzenden getrieben. Stück für Stück, in Interviews und in einem Strategiepapier mit der Überschrift „Keine Ausflüchte!“, rechnete er mehr oder minder deutlich mit Schulz' Kampagne ab.
Nachdem am Montag - wenige Stunden nach dem Ende der schwarz-gelb-grünen Jamaika-Träume - die versammelte SPD-Spitze inklusive Scholz ein von Schulz vorgelegtes Anti-Groko-Pro-Neuwahlen-Papier absegnete, dauerte es nicht lang, bis aus seinem Lager und aus Hannover (wo Hoffnungsträger Stephan Weil residiert) Kritik an den Formulierungen laut wurde.
In Schulz' Umfeld wurde dies als neuerliche Attacke registriert. Doch ein Königsmörder wollte Scholz nie sein. Das war schon zu Zeiten eines Sigmar Gabriel so. Seit Jahren lautet daher die Ansage aus Hamburg an die Partei: Ich bin zwar bereit, aber ihr müsst mich schon rufen! Scholz' Beliebtheit an der Basis ist aber sehr überschaubar.
Auch Scholz präsentiert im Fernsehen eine Art rotes Regierungsprogramm. Beispiel Europa: „Es ist dringend erforderlich, dass wir ein klares proeuropäisches Bekenntnis abgeben.“ Deutschland müsse das Angebot von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron aufnehmen und eine „Situation herstellen, dass die Europäische Union quasi vollendet wird“. Beispiel Arbeitsmarkt/Soziales: Der Missstand müsse aufgeräumt werden, dass in einem Wirtschaftsboom Arbeitnehmer immer mehr Leute mit befristeten Verträgen einstellten. Der Mindestlohn müsse erhöht werden, die Arbeitgeber bei der Krankenversicherung gleich hohe Beiträge wie die Arbeitnehmer zahlen. Digitale Wende, mehr Geld für Krippen, sozialer Wohnungsbau.
Interessant ist noch ein anderer Scholz-Satz: „Ich bin sehr sehr skeptisch, was eine Minderheitsregierung betrifft.“ Damit baut Scholz ein Stück weit die Drohkulisse der SPD für Angela Merkel ab, möglicherweise eine rein mit Unions-Ministern besetzte Regierung nur zu tolerieren statt in eine Koalition einzuwilligen. Vieles deutet also auf ein Ja der SPD für ein schwarz-rotes Comeback hin, aber sicher ist nichts. Auch Unterstützung für eine Unions-geführte Minderheitsregierung oder eine „Kenia“-Koalition (Union, SPD, Grüne) werden diskutiert. Die Kunst dürfte darin bestehen, die Groko-müde Parteibasis auf diesem Weg mitzunehmen. Schulz müsse dabei seiner Führungsverantwortung gerecht werden, heißt es aus der Partei.
Der von weiten Teilen der Basis geschätzte Schulz kann auf dem Parteitag mit seiner Wiederwahl wohl rechnen. Wenn es ihm dort gelingt, sich Rückhalt für ein vom Staatsoberhaupt Steinmeier quasi erbetenes „Umfallen“ in Richtung Groko zu sichern, könnte er sich bei Schwarz-Rot ein Ministeramt aussuchen.
Unmittelbar nach der Wahl hatte der 61-Jährige das noch ausgeschlossen: „In eine Regierung von Angela Merkel werde ich nicht eintreten.“ Am Freitagabend wird Schulz beim Juso-Bundeskongress in Saarbrücken erwartet. Der Parteinachwuchs steht links, verachtet die Groko, stand bisher treu zum Vorsitzenden. Für Schulz wird es eine erste Abstimmung mit den Füßen.