Porträt Horst Seehofer kämpft um sein politisches Erbe
München (dpa) - So ruhig wie in den vergangenen Wochen hat Horst Seehofer lange nicht gewirkt. Während es in der CSU in Bayern seit der Bundestagswahl drunter und drüber ging, sondierte der Parteichef in Berlin für ein mögliches Jamaika-Bündnis.
Selbst die heftigsten Provokationen seiner Kritiker lockten ihn nicht aus der Reserve; seine ganze Aufmerksamkeit gehörte der am Ende gescheiterten Regierungsbildung. „Ich fühle mich eigentlich pudelwohl, sauwohl, möchte ich fast sagen. Das kommt bei mir immer so: Wenn's etwas spannender wird, steigert sich meine Befindlichkeit noch zum Positiven“, umschrieb der 68-Jährige am Tag nach der CSU-Wahlpleite mit historisch niedrigen 38,8 Prozent seine Gemütslage. Der erfahrene Politik-Stratege scheint Situationen wie diese zu genießen, wenn es hart auf hart kommt, wenn der am Ende gewinnt, der um möglichst viele Ecken vorausdenkt.
Was das bedeutet, zeigt sich am Donnerstag bei den mit Spannung erwarteten Sondersitzungen von Landtagsfraktion und Vorstand: Nachdem Seehofer anfangs vor der Presse ankündigt, am Abend werde - ohne Trickereien - Klarheit herrschen, ist abends davon keine Rede mehr. Klar ist nur, dass ein neues Beratergremium mit Seehofer die offenen Zukunftsfragen bis Anfang Dezember klären soll. Auch seine vehementesten Kritiker schlucken die Beruhigungspille ohne Gegenwehr.
„Ich bin ein freier Mensch, und als solcher agiere ich auch. Ohne Ängste oder Alpträume“, erklärte Seehofer nach der Bundestagswahl. „Er ist in den Wochen in Berlin regelrecht aufgeblüht, das hat ihm gut getan“, bestätigt einer seiner wenigen Vertrauten in München. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der Druck und die Dauerkritik nicht spurlos an ihm vorbeigehen. „Es wäre ja schlimm, wenn das keine Spuren bei einem hinterlässt und einfach abperlt“, räumte Seehofer ein.
Für ihn geht es jetzt um seine politische Zukunft und sein politisches Erbe. In den CSU-Geschichtsbüchern will er nicht als derjenige stehen, der nach der historischen Wahlpleite vom Hof gejagt wurde. In seiner mehr als 45-jährigen Laufbahn hat er schon viele Schlachten geschlagen. Oft war er es, der seine Gegner in die Ecke trieb und Positionen durchboxte. 28 Jahre im Bundestag, 12 Jahre als Staatssekretär und Bundesminister, seit 9 Jahren Partei- und Regierungschef. Auch für die CSU eine ungewöhnliche Ämterfülle.
Dafür zahlt er einen hohen Preis: „Ich gehe ständig an die Grenze dessen, was man sich körperlich zumuten kann“, sagte er einmal. 2002 erlitt er eine Herzmuskelentzündung, die ihn fast das Leben kostete. Privat habe er kaum Zeit für Freunde oder Hobbys. „Das ist sehr, sehr schmerzhaft. Aber man kann nicht Ministerpräsident sein, Parteivorsitzender sein, in Berlin mitregieren, in München regieren und dann noch ein großes Ausmaß an Freizeit haben.“
Seine Gegner hat Seehofer nicht immer sanft behandelt, bis heute schreckt er auch vor lautstarkem Streit mit seinen eigenen Leuten nicht zurück. Seine Kritiker werfen ihm einen autokratischen Regierungsstil vor: dass er ein gnadenloser Populist sei und seinen Kurs ändere wie eine Fahne im Wind - der angeblichen „Koalition mit den Bürgern“ zuliebe.
Seinen Habitus konnte sich Seehofer in den vergangenen Jahren nicht nur deshalb erlauben, weil er in der CSU die beiden wichtigsten Ämter innehat, sondern auch, weil er seit 2013 mit einer fast unerschöpflichen Autorität ausgestattet war. Immerhin war er es, der der CSU 2013 wieder zur absoluten Mehrheit verhalf. Jetzt könnte ihm genau dieser Anspruch der Partei zum Verhängnis werden, denn letztlich folgt die Basis nur dem Chef, dem die absolute Mehrheit zugetraut wird.
Hinzu kam eine bundespolitische Wirkungskraft, wie Seehofer es gerne selbst nennt, wie einst zu Zeiten von Franz Josef Strauß. Zu spüren bekam dies immer wieder auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU), vor allem im Streit über die Flüchtlingspolitik und die Obergrenze. Unvergessen ist der CSU-Parteitag 2015, als er Merkel wie ein Schulmädchen aussehen ließ.
Doch Seehofers Machtarchitektur ist mit der Bundestagswahl stark ins Wanken gekommen. Für seine vielen Kritiker vor allem aus der Landtags-CSU ist die Ära Seehofer vorbei, ist es Zeit für einen Generationenwechsel. Das war einst auch Seehofers eigener Plan: 2015 kündigte er an, bis zur Landtagswahl 2018 einen geordneten Übergang der Macht organisieren zu wollen. Im April dieses Jahres kam dann der Rücktritt vom Rücktritt. Über die Gründe wird viel spekuliert, am Ende dürfte es eine Mischung aus mehreren Faktoren sein: ein aus Seehofers Sicht ungeeigneter Bewerber um die Nachfolge namens Markus Söder, eigenes Machtinteresse, Sorge um die Partei.
Und als reiche dies nicht aus, kommt im anstehenden Kampf um die Verteidigung der absoluten Mehrheit bei der Landtagswahl 2018 auch noch die Auseinandersetzung mit einer Partei hinzu, die der CSU schon bei der Bundestagswahl viele Wähler abgeluchst hat: die AfD.