Großrazzia im Flüchtlingsheim Zugriff statt Rückzug - Polizei zeigt in Ellwangen Stärke
Ellwangen (dpa) - Hunderte Polizisten und bewaffnete Spezialkräfte besteigen Transporter. Viele tragen Sturmhauben. Im Schutz der Dunkelheit fahren sie in der Nacht zum Donnerstag zur einstigen Reinhardt-Kaserne am Rande der beschaulichen schwäbischen Stadt Ellwangen.
Es ist früh am Morgen, als die Polizisten aussteigen und die Unterkünfte der Asylbewerber umzingeln. Dann kommt der letzte Befehl zum Start des Einsatzes noch vor dem Morgengrauen. Er wird zu einer Machtdemonstration des Rechtsstaates.
Mit einer Botschaft, die allen voran Bundesinnenminister Horst Seehofer betont: so nicht. Gewalttätiger Widerstand von Flüchtlingen gegen die Polizei müsse „mit aller Härte und Konsequenz verfolgt werden“, sagt er. Was sich am Montag in der Landeserstaufnahmestelle (LEA) im schwäbischen Ellwangen bei der gescheiterten Abschiebung eines 23-jährigen Mannes aus dem westafrikanischen Kleinstaat Togo abgespielt hatte, nennt der CSU-Politiker einen „Schlag ins Gesicht der rechtstreuen Bevölkerung“.
Zwischen 150 und 200 Afrikaner hatten Widerstand gegen die Abschiebung des Togoers geleistet. Sie schlugen auf Streifenwagen ein und bedrängten Polizisten, die die Abschiebung des 23-Jährigen vollziehen sollten. „Rückzug!“, lautete wenig später der Befehl, den das zuständige Polizeipräsidium in Aalen später autorisiert. Dem Mann aus Togo werden die Handschellen abgenommen, er wird notgedrungen freigelassen.
Die Entscheidung sei absolut richtig gewesen, sagt am Donnerstag Polizeivizepräsident Bernhard Weber. „Ich beglückwünsche die Beamten dazu.“ Seine Polizisten hätten sonst wohl gar ihr Leben riskiert, es hätte viele Verletzte geben können. In einer „so aggressiven und gewaltbereiten Ausnahmesituation“ habe man nicht anders gekonnt. Republikweit löste der Fall Empörung aus. Aber Weber betont auch umgehend: „Das Recht wird durchgesetzt werden, dafür stehen wir.“
Wenige Tage später - nach gründlicher polizeitaktischer Vorbereitung - lautet der neue Befehl dann: Zugriff. Flüchtlinge springen nach Angaben von Zeugen aus Fenstern. Einige verletzen sich dabei leicht. Hariolf Zawadil, der leitende Notarzt, berichtet, drei Bewohner seien in Klinken gebracht worden, aber nach kurzer ambulanter Behandlung zurückgekehrt. Es sei um „Prellungen, Übelkeit und stressbedingte Hyperventilation“ gegangen. Ein Polizist habe sich leicht verletzt, „aber nicht durch Fremdeinwirkung“. Rund 40 Rettungssanitäter und mehrere Notärzte seien sicherheitshalber im Einsatz gewesen.
Reporter sehen, wie mehrere Männer in Handschellen innerhalb der Landeserstaufnahmestelle in Gewahrsam genommen und abgeführt werden. Gegen insgesamt 27 Verdächtige wird laut Polizei wegen mutmaßlicher Widerstandshandlungen weiter ermittelt. 15 Bewohner werden in andere Einrichtungen verlegt - auch um offenkundig in Ellwangen entstandene Gruppierungen gewaltbereiter Flüchtlingen aufzulösen.
Der gesuchte Togoer ist unter den vorläufig Festgenommenen. Ihn trifft wohl noch am wenigsten eine Schuld. Einsatzleiter Peter Hönle sagt, er habe sich ohne jeden Widerstand festnehmen lassen, bereits am Montag habe er selbst sich nicht widersetzt. Andere hätten den Aufstand gegen die Polizei initiiert - und nach Erkenntnissen der Polizei wohl auch zielgerichtet vorbereitet.
Die „böse Überraschung“ eines organisierten Widerstands von Flüchtlingen gegen deutsche Sicherheitsbeamte - das ist nach Einschätzung aller Beteiligten die eigentliche erschreckende Dimension des Geschehens in Ellwangen. Unter einer Gruppe von Schwarzafrikanern, sagt Weber, hätten sich in der Landeserstaufnahmestelle „Strukturen entwickelt“, mit denen Behördenmaßnahmen verhindert werden sollten. Es sei damit quasi ein „rechtsfreier Raum entstanden“.
Vor allem diese alarmierende Erkenntnis führte zu dem massiven Einsatz am Donnerstag - durchaus nach dem Motto „Wehret den Anfängen“. Dazu sagt der Einsatzleiter: „Wenn sich die Erkenntnis durchsetzt, dass man die Polizei mit einer organisierten Übermacht in die Flucht schlagen kann, hätte das verheerende Folgen.“
Deswegen könnten Abschiebungen aus Flüchtlingsheimen künftig durchaus anders aussehen als bisher. Bis auf Weiteres dürften dafür kaum lediglich vier Beamte mit zwei Streifenwagen wie am Montag in Ellwangen eingesetzt werden, heißt es in Polizeikreisen. „Wir werden abschieben - ohne Wenn und Aber“, sagt Hönle. Aber wie viele Polizisten man dafür künftig in Deutschland jeweils brauche, sagt er nicht.