AIG schreckt vor Klage gegen die USA zurück

New York (dpa) - Wohl selten hat ein Unternehmen binnen 24 Stunden so viel Prügel einstecken müssen wie der US-Finanzkoloss AIG. Der Konzern war einst der unumstritten größte Versicherer der Welt. Dann kam die Finanzkrise.

Um ein Haar wäre die Firma pleitegegangen - und hätte wegen ihrer Verflechtungen möglicherweise den ganzen Finanzmarkt mit in die Tiefe gerissen. Der Steuerzahler sprang ein, AIG wurde mit ungeheurem Aufwand vor dem Bankrott bewahrt. Und jetzt erwog diese AIG doch tatsächlich, den einstigen Retter zu verklagen.

Auf das Management prasselte Kritik von Politikern und US-Medien ein. Das scheint gewirkt zu haben: Der AIG-Verwaltungsrat lehnte es auf einer Sitzung am Mittwoch ab, sich einer 25 Milliarden Dollar (19 Mrd Euro) schweren Schadenersatzklage eines ehemaligen Großaktionärs gegen die US-Regierung anzuschließen. „Wir danken Amerika weiterhin für seine Unterstützung“, beteuerte Verwaltungsratschef Robert Miller. Der „Image-Selbstmord“, wie es ein Beobachter nannte, wurde in letzter Minute abgewendet.

Miller war als Vorsitzender des höchsten Firmengremiums sichtlich um Schadensbegrenzung bemüht: „Amerika hat in 62 000 AIG-Mitarbeiter investiert und wir haben unser Versprechen gehalten, dieses tolle Unternehmen wieder aufzubauen.“ Nach der Entscheidung machte sich allenthalben Erleichterung breit - und auch bei AIG selbst. Die Berichterstattung sei hart zu ertragen gewesen, gestand Konzernchef Robert Benmosche in einem Interview mit der Finanz-Nachrichtenagentur Bloomberg ein. Jetzt könne ein Schlussstrich unter die Vergangenheit gezogen werden.

Das dürfte Maurice „Hank“ Greenberg ganz anders sehen. Der ehemalige langjährige AIG-Chef und Aktionär hatte die Klage angestrengt und wird sie wohl auch weiter vorantreiben. Er wirft dem Staat vor, die privaten Anteilseigner bei der Rettungsaktion in der Finanzkrise übervorteilt zu haben. Die Regierung hatte den Versicherer nach dessen Fehlspekulationen auf dem US-Häusermarkt mit einem 182 Milliarden Dollar schweren Rettungspaket vor dem Kollaps bewahrt und dabei bis zu 92 Prozent der Anteile übernommen. Es war die teuerste Rettungsaktion in der gesamten Finanzkrise.

Nachdem bekanntgeworden war, dass der AIG-Verwaltungsrat darüber beraten würde, ob er sich der Klage anschließen soll, war ein Sturm der Entrüstung losgebrochen. AIG wurde in Medien als das undankbarste Unternehmen aller Zeiten beschimpft. Die demokratische Senatorin und Wall-Street-Kritikerin Elizabeth Warren nannte die Haltung des Managements „unglaublich“. Die „New York Times“ kommentierte, AIG sollte die Regierung nicht verklagen, sondern ihr auf Knien danken. Der Satiriker und Kolumnist des Magazins „New Yorker“, Andy Borowitz, veröffentlichte einen fiktiven Brief von AIG, in dem es hieß: „Wir kämpfen für eines der kostbarsten Rechte der Amerikaner: Das Recht, jemanden zu verklagen, der gerade dein Leben gerettet hat.“

AIG selbst hatte sich verteidigt, man müsse derartige Anfragen von Aktionären prüfen. Das klare Nein, Greenberg bei seinem Feldzug gegen die Regierung zu unterstützen, birgt in der Tat Risiken für den Versicherer. Denn nun könnte Greenbergs Gesellschaft Starr International auch gegen das AIG-Management zu Felde ziehen mit der Begründung, es verletzte seine Pflichten gegenüber den Anteilseignern.

Greenbergs Firma besaß vor dem Eingreifen des Staates rund 12 Prozent der Anteile an AIG. Die Anteile schrumpften während der Rettungsaktion zusammen. Greenberg sagt, die Regierung habe AIG zu hart an die Kandare genommen und damit die private Anteilseigner geschädigt. Die Regierung sagt, ohne ihr Eingreifen gäbe es keine AIG mehr und die Aktionäre hätten noch viel mehr verloren.

Die Klage war von Anfang an auf Unverständnis gestoßen. Greenberg hatte AIG fast 40 Jahre lang geführt bis 2005. Er baute das Unternehmen zum weltgrößten Versicherer aus. Nachdem ihm aber der damalige New Yorker Staatsanwalts Eliot Spitzer dubiose Geschäftspraktiken vorgeworfen hatte, wurde Greenberg aus dem Amt gedrängt. Kritiker lasten dem 87-Jährigen an, er habe die Grundlagen für die hochspekulativen Geschäfte gelegt, die AIG später fast das Genick brachen.

Die Rettungsaktion selbst war ein voller Erfolg: Der Steuerzahler hat sein Geld zurückbekommen und AIG schreibt wieder solide Gewinne, wenngleich das Unternehmen sich gesundschrumpfen musste. Durch gute Preise beim Verkauf der AIG-Aktien sowie Zinsen für gewährte Kredite hat der Staat sogar einen Gewinn von 22,7 Milliarden Dollar eingestrichen. Nach dem Nein zur Klage wirkt nun auch die Botschaft eines Werbespots von AIG wieder glaubwürdig: „Danke, Amerika!“