Autobranche fürchtet Rückstand im Wettlauf um Fahren 2.0
Hannover (dpa) - Die deutsche Autoindustrie fürchtet beim Fahrzeug der Zukunft einen Rückstand auf die Konkurrenz in den USA. Die Branche fordert daher auf ihrem Weg zu vernetzter Mobilität und Fahrzeugen mit Autopiloten eine schlagkräftigere Allianz mit der Politik und der IT-Branche.
„Beim Thema Vernetzung braucht es den Schulterschluss von Politik und Unternehmen“, sagte Volkswagen-Chef Martin Winterkorn in Hannover bei einem Kongress des Automobilverbandes VDA. „Wir brauchen rechtliche Rahmenbedingungen, die den Fortschritt nicht ausbremsen, sondern unterstützen.“
Der Chef des größten Autobauers in Europa forderte unter anderem eine modernisierte Infrastruktur, eine rasche Klärung rechtlicher Aspekte und mehr Chancen für Testbetriebe. „Das sind die großen Baustellen, die es abzuarbeiten gilt“, sagte Winterkorn. Der niedersächsische Wirtschaftsminister und VW-Aufsichtsrat Olaf Lies meinte: „Es ist eigentlich erschütternd, dass wir heute nicht rechtzeitig wissen, wo noch Lkw-Parkplätze frei sind.“ Die Politik sei bereit für Dialoge.
Hierzulande hängt auf rechtlicher Seite bisher noch vieles an der Wiener Straßenverkehrskonvention aus den 1960er Jahren. Damals, als die Menschen mit der Rechenleistung eines heutigen Taschenrechners zur Mondlandung aufbrachen, waren Autopiloten im Verkehr undenkbar. „Wir in Europa sind auf dem Stand des Wiener Abkommens, die USA sind weiter“, sagte Winterkorn und antwortete auf die Frage, mit welcher Lobbyhilfe denn die Wende gelingen könne: „Es geht nur mit dem VDA.“
Bereits Mitte des nächsten Jahrzehnts sollen Autos auf Langstrecken wie Autobahnen selbstständig per Autopilot fahren. Die Grundvoraussetzung dafür - Sensorik und Vernetzung mit der Außenwelt - wird schon vorher teilautomatisiertes Fahren wie etwa im Stau oder in Parkhäusern ermöglichen.
Die Dimension der Vernetzung geht aber noch weit über diesen Nutzen hinaus. Die Datenflut dahinter erlaubt viele Szenarien wie etwa individuelle Versicherungstarife, die vom Fahrverhalten abhängen, oder verkürzte Werkstattaufenthalte. Doch auch eine Schattenseite droht: etwa Überwachsungsszenarien mit einem Missbrauch von Bewegungsprofilen, die Personen zuzuordnen sind.
Der Vorstandschef des Autozulieferers Continental, Elmar Degenhart, warb daher wie Winterkorn für eine breite Allianz in der Branche, bei der das Thema Datensicherheit den Ton angebe. „Das Erfolgsrezept für das vernetzte Fahrzeug ist Vertrauen durch Dialog mit den Fahrern und Transparenz der Vorgänge“, betonte Degenhart.
Winterkorn sagte: „Was wir nicht wollen, ist, dass diese Daten unserer Kunden irgendwo hinwandern.“ Dieser Vertrauensverlust sei eine Riesengefahr. „Und deshalb ist Cyber-Sicherheit ein so großes Thema“, sagte Winterkorn.
Dabei ist es in der Branche noch ungeklärt, wem Daten des vernetzten Fahrens eigentlich gehören sollen. Fahrer, Fahrzeughalter, Autobauer, Technikzulieferer, Datennetzbetreiber, Versicherer oder Dienstleister wie Parkhäuser, Werkstätten, Tankstellen oder Navigationsanbieter - die Begehrlichkeiten sind riesig, das Einfallstor ist es damit auch.
Andererseits sind die Chancen groß. VDA-Präsident Matthias Wissmann sagte: „Die Zukunft liegt in der Vernetzung.“ Fahrzeuge sollen sich verstärkt miteinander, mit der Infrastruktur und mit dem Internet austauschen. „Wir werden in Echtzeit vor Unfällen gewarnt, können Staus umfahren, Reisezeiten verkürzen und so Umweltressourcen sparen. Unser Ziel ist der unfallfreie Straßenverkehr“, sagte Wissmann.
Trotz der vielen datenschutzrechtlichen Fragen warnten die Redner vor zu wenig Tempo. Deutschland drohe die nötigen Startvoraussetzungen zu verpassen, sagte Winterkorn und verwies auf Konkurrenz im Ausland. „Insbesondere die USA sind uns da in mancher Hinsicht voraus.“
So habe Kalifornien vom kommenden Jahr an bereits eine gesetzliche Regelung zum Verkauf und Betrieb von Autos mit Autopiloten. Ähnliche Regelungen haben schon der Pionier Nevada, Florida and auch Michigan.
Zudem treibe die Obama-Regierung das vernetzte Fahren mit Standards und Frequenzen für Datenaustausch voran. „Es ist schwer abzuschätzen, wie sich das auf den Automobilstandort Deutschland auswirkt“, sagte Winterkorn. Eines sei klar: „Ein Vorteil ist es ganz sicher nicht.“