Rund 180 000 Mandate Betriebsräte stehen zur Wahl - aber längst nicht überall

Frankfurt/Main (dpa) - Die Betriebsratswahlen gehören zu den größten Abstimmungen des Landes, mit hoher Beteiligung und teils weitreichenden Folgen für die Beschäftigten.

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Doch die Ergebnisse der alle vier Jahre durchgeführten Wahlen werden in keiner offiziellen Statistik erfasst. Selbst die genaue Zahl der privatwirtschaftlichen Betriebe, in denen die Abstimmungen bis Ende Mai stattfinden, ist unbekannt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) geht von rund 28 000 Betrieben unterschiedlichster Größe aus, in denen die Arbeitnehmer über rund 180 000 Mandate abstimmen, was etwa der Anzahl in den Kommunalparlamenten entspricht.

Nach Untersuchungen der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung wird nur eine Minderheit der Beschäftigten in Deutschland überhaupt von einem Betriebsrat vertreten. Im Westen waren es im Jahr 2014 in den Betrieben mit mehr als fünf Beschäftigten 43 Prozent, im Osten nur 33 Prozent.

Besonders schwer tun sich Belegschaften im beschäftigungsintensiven Gast- und Baugewerbe ebenso wie im Handel. In manchen Betrieben müssten Aktive Schikanen und auch Kündigungen fürchten, sagt DGB-Chef Reiner Hoffmann. Einige Unternehmen machten regelrecht einen Volkssport daraus, Betriebsratsarbeit und -gründungen zu verhindern, auch mit illegalen Mitteln, sagt Hoffmann.

Dabei sind die Hürden nach dem Betriebsverfassungsgesetz eigentlich niedrig, wobei die Initiative aus der Belegschaft kommen muss. Der Betrieb muss mindestens fünf Beschäftigte haben, von denen drei schon sechs Monate dort arbeiten und damit wählbar wären. Ab einer Betriebsgröße von 200 Beschäftigten ist ein Betriebsratsmitglied von der Arbeit freizustellen.

Die Gewerkschaften beantworten die Frage nach dem Nutzen eines Betriebsrats naturgemäß positiv. Mitbestimmte Betriebe bildeten mehr und besser aus, seien familienfreundlicher, innovativer und letztlich auch wirtschaftlich erfolgreicher, argumentiert beispielsweise die IG Metall. Daimler und der weltgrößte Autohersteller Volkswagen seien dafür Paradebeispiele.

Das gelebte Miteinander in den Betrieben bewähre sich immer wieder, zuletzt während der Wirtschafts- und Finanzkrise, befinden auch die Arbeitgeberverbände. „In vielen Fällen konnten Arbeitsplätze gesichert werden, etwa durch Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen zur Einführung von Kurzarbeit oder zur Nutzung von Arbeitszeitkonten. Die Sozialpartnerschaft hat damit für eine Stabilisierung der Beschäftigung in den Unternehmen gesorgt - darin zeigt sich, dass sie keine verzichtbare Schönwetterveranstaltung ist“, sagt Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).

Der Alltag ist harte Arbeit am Detail, wie der jährlich ausgelobte Deutsche Betriebsräte-Preis zeigt. Im vergangenen Jahr wurde der Betriebsrat des privaten Klinikums Coburg GmbH mit Gold ausgezeichnet. Dem Gremium war es gelungen, die im Krankenhaus seit Jahrzehnten tätigen Rotkreuz-Schwestern als (Leih-)Arbeitnehmer an den BR-Wahlen teilhaben zu lassen und sie anschließend aus dem privaten Verein Rotes Kreuz in den geltenden Tarifvertrag zu holen.

Mindestens ein Viertel der aktuellen Betriebsratsmitglieder ist nicht in einer Gewerkschaft organisiert, im Verdi-Organisationsbereich sogar mehr als ein Drittel. Andere Gewerkschaften außerhalb des DGB spielen mit wenigen Ausnahmen (Luftverkehr/Bahn/Klinikärzte/Medien) keine nennenswerte Rolle, die Hans-Böckler-Stiftung schätzt ihren Anteil an sämtlichen Betriebsräten auf 1,5 Prozent.

Vor allem bei den großen Autobauern könnte sich das nach den anstehenden Wahlen zumindest ansatzweise ändern: Daimler hat sich beunruhigt gezeigt über Aktivitäten einer rechten Gruppierung namens „Zentrum Automobil“, die im Stammwerk Untertürkheim bereits vier Sitze im örtlichen Betriebsrat innehat. In Betrieben und im Internet trommelt die AfD-nahe Truppe gegen die IG Metall, deren Vertreter als „Co-Manager“ die Ziele der Unternehmen absicherten - angeblich gegen die Interessen der Beschäftigten.

Die größte und mächtigste Gewerkschaft im DGB, die IG Metall, sieht sich ganz und gar nicht auf Kuschelkurs, sondern hat in der gerade abgeschlossenen Metall-Tarifrunde durchaus Härte gezeigt: Ohne Urabstimmung wurde die Industrie mit den neuen eintägigen Warnstreiks überzogen, für die an die Teilnehmer sogar Streikgeld ausgezahlt wird. An die vier Prozent mehr Geld pro Jahr und Freizeitoptionen für einige besonders belastete Beschäftigtengruppen dienen der IG Metall nun als Argumente bei den betrieblichen Wahlen.

DGB-Chef Hoffmann sieht die Entwicklung am rechten Rand mit Sorge: „Eine der Aufgaben eines Betriebsrates ist es schon laut Gesetzgeber, gegen Rassismus im Betrieb einzutreten.“ Man beobachte daher die Aktivitäten der Rechten genau. „Jeder rechtspopulistische Betriebsrat, der die Spaltung im Betrieb oder gesellschaftlich propagiert, ist einer zu viel.“