Britische Banken stehen weiter im Kreuzfeuer der Finanzaufsicht
London (dpa) - Eine Anschuldigung jagt in diesem Sommer in der Londoner City die nächste und erschüttert das Vertrauen in die Bankenbranche. Am Montagabend kam kurz vor Börsenschluss eine weitere Hiobsbotschaft - und erreichte ausgerechnet Standard Chartered.
Die Bank galt seit der Finanzkrise als das leuchtende Aushängeschild unter den Finanzinstituten. Doch das bislang nahezu makellose Image bekommt tiefe Kratzer.
Die New Yorker Finanzaufsicht fährt schwere Geschütze auf: Die Bank soll sich jahrelang nicht um Sanktionen gegen den Iran geschert haben und illegal Milliarden US-Dollar für das Regime transferiert haben. Das könnte nun teuer werden. Auch wenn das Institut die Vorwürfe zurückweist, die Börse ist schockiert. Mit so etwas hatte bei Standard Charered kaum jemand gerechnet: Die Aktie brach am Dienstag um mehr als 20 Prozent ein.
Die Fallhöhe ist besonders hoch. Standard Chartered galt manchem als Gegenentwurf zur vermeintlich bösen Welt der Investmentbanken. Während die Konkurrenten Lloyds und Royal Bank of Scotland (RBS) mit Milliarden vom Staat gerettet werden mussten, schreibt die Bank seit neun Jahren Rekordgewinne. Und zwar mit einer klassischen Mischung aus Privatkunden-, Filial- und Firmenkundengeschäft.
Auch in diesem Jahr will die Bank, die ihre Wurzeln in der britischen Kolonialgeschichte des 19. Jahrhunderts hat, das Personal weiter ausbauen und die Schwäche der Konkurrenz nutzen. Das Institut profitiert von der Konzentration auf die Schwellenländern. Rund 80 Prozent des Geschäfts macht die Bank in Asien, auch in Afrika und im Nahen Osten ist sie stark vertreten. Dagegen ist sie in Europa vielen weitgehend unbekannt - am auffälligsten ist sie noch als Trikotsponsor des FC Liverpool.
Sollten sie sich als berechtigt herausstellen, würden sich die Vorwürfe in eine Kette von Fehltritten einreihen. Milliarden haben die britischen Banken inzwischen für die Fehlberatung von Kunden auf der Insel zurückgelegt, denen sie völlig unnötige Kreditausfallversicherungen angedreht haben. Im Juni akzeptierte Barclays eine Strafe wegen Manipulationen beim wichtigen Referenzzinssatz Libor. Der sogenannte Libor-Skandal zieht weite Kreise. Die Ermittlungen laufen weltweit gegen mehr als ein Dutzend Banken - darunter auch die Deutsche Bank. Im Juli entschuldigte sich dann die Großbank HSBC in den USA, weil sie Geldwäsche von Drogenbaronen in Mexiko ermöglichte.
Bei Standard Chartered schien das unmöglich. So sehr pochte das Management auf seine Werte. „Wir bauen ein Geschäft, dass einen breiten sozialen und wirtschaftlichen Mehrwert schafft“, sagte Vorstandschef Peter Sands noch in der vergangenen Woche. „Als Wettbewerbsvorteil und als ultimativer Risikoschutz sind unsere Kultur und unsere Werte unsere erste und letzte Verteidigungslinie.“
„Es sieht nicht gut aus“, kommentiert Analyst Christopher Wheeler von Mediobanca nun die Vorwürfe. Die New Yorker Finanzaufsicht untermauert ihre öffentlichen Anschuldigungen mit konkreten Zitaten aus der Bank. So soll der US-Chef im Oktober 2006 dringend vor den Iran-Geschäften gewarnt haben. Doch aus London gab es angeblich eine barsche Antwort.
Und es dürfte schwierig sein für die Bank, die Anschuldigungen mit ihren zur Schau gestellten Werten in Einklang zu bringen.„Der Fall wird für das Management sehr kompliziert“, sagt Analyst Wheeler. Die Vorwürfe beziehen sich auf eine Zeit, als Sands und seine Vorstandskollegen Richard Meddings und Mike Rees bereits an Bord waren. Sands galt als ein Kandidat für die Nachfolge des wegen des Libor-Skandals zurückgetretenen Barclays-Chef Bob Diamond. Für die Banken in Großbritannien ist es so oder so ein weiterer Tiefschlag. Der Rückhalt in der Politik, die ihren wichtigsten Wirtschaftszweig lange schützte, dürfte weiter schwinden.