Brüssel gibt Defizitsündern mehr Zeit
Brüssel (dpa) - Angesichts von Rezession und Massenarbeitslosigkeit bekommen Europas Defizitsünder mehr Zeit zum Sparen. So sollen Frankreich und Spanien jeweils zwei zusätzliche Jahre erhalten, um die Maastrichter Defizitgrenze von drei Prozent einzuhalten, sagte EU-Währungskommissar Olli Rehn.
Der Finne ging dabei insbesondere mit der Pariser Wirtschaftspolitik hart ins Gericht: „Frankreich muss sein Wachstumspotenzial entfesseln und Jobs schaffen, das ist mindestens ebenso wichtig wie das Fortführen eines konsequenten Sparkurses.“ Er forderte Reformen auf dem Arbeitsmarkt und bei den Renten - Pariser Wachstumsannahmen kritisierte er als „überholt“.
Die Bundesregierung hält eine Verlängerung der Fristen für die Einhaltung von Defizitzielen grundsätzlich für möglich. Dies müsse jeweils im Einzelfall geprüft werden, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Voraussetzung sei allerdings, dass die betroffenen Staaten die geforderten Konsolidierungsmaßnahmen getroffen hätten.
Rehn pochte darauf, die Arbeitslosenkrise in Europa zu überwinden. Die Arbeitslosenquote verharrt im laufenden und kommenden Jahr in der Eurozone bei jeweils gut 12 Prozent, wie der am Freitag vorgelegten Frühjahrs-Konjunkturprognose der Kommission zu entnehmen ist. „Die Haushaltssanierung geht weiter, aber ihr Tempo verlangsamt sich“, resümierte der Finne.
Die Eurozone verlässt nur mit Mühen die schwere Wirtschaftskrise. Brüssel erwartet im kommenden Jahr für die 17 Euroländer nur ein leichtes Wachstum von 1,2 Prozent, 0,2 Punkte weniger als bisher. Im laufenden Jahr schrumpft die Wirtschaft demnach um 0,4 Prozent - das sind 0,1 Punkte mehr als noch im Februar vorhergesagt.
Viele Euroländer sind oder waren zeitweilig in der Rezession, darunter auch Frankreich. Ökonomen sprechen von einer Rezession, wenn die Wirtschaft in zwei Quartalen hintereinander schrumpft. In einigen Ländern steigen die Staatsdefizite weiter, so in Frankreich oder Spanien. Deutschland schneidet besser als die meisten Euroländer, so soll die Wirtschaft 2014 hierzulande um 1,8 Prozent wachsen.
Rehn will Paris nun bis 2015 Zeit geben, die Maastrichter Defizitgrenze von drei Prozent der Wirtschaftsleistung einzuhalten. Bisher läuft die Frist dieses Jahr ab. Staatspräsident François Hollande steht bereits innenpolitisch erheblich unter Druck, die Krise zu überwinden. Finanzminister Pierre Moscovici sicherte in Paris einen Reform- und Sparkurs zu - bei der Verminderung der Defizite dürfe das Wachstum jedoch nicht leiden.
Spanien soll bis 2016 Zeit bekommen, seine Finanzen in Ordnung zu bringen. Verlängerungen in den Defizitstrafverfahren sind auch bei anderen Ländern möglich, wie beispielsweise Niederlande oder Slowenien.
Das hoch verschuldete Italien kann aus der Strafprozedur entlassen werden, falls die neue Regierung in Rom glaubhaft nachweisen kann, auch in Zukunft die Neuverschuldungsgrenze einzuhalten. Weitere Kandidaten für ein Verfahrensende sind die nicht zur Eurozone gehörenden Länder Lettland, Litauen, Rumänien und Ungarn.
Rehn forderte vom krisengeschüttelten Slowenien ein beherztes Eingreifen gegen die Bankenkrise. „Die wirtschaftliche Lage ist noch kontrollierbar“, so Rehn. Die Ratingagentur Moody's hatte unlängst die Kreditwürdigkeit Sloweniens auf Ramsch-Niveau abgestuft.
Der Euro-Stabilitätspakt war erst im vergangenen Jahr verschärft worden. Geldstrafen gegen Defizitsünder können deshalb schneller verhängt werden als früher. In der Krise nimmt die EU-Kommission aber das Wort Sanktionen nicht in den Mund.