Chinas Abschied vom Billiglohn - Konsumenten statt Produzenten
Die Einkommen von Chinas Arbeitern wachsen rasant. Aber ihre Produktivität hält schon seit Jahren nicht mehr Schritt. Die Kluft trifft die Wirtschaft. Auch deutsche Firmen spüren den Kostendruck.
Peking. China ist für viele Unternehmen aus Deutschland überlebenswichtig. Mit fast 1,4 Milliarden Menschen lockt das Land mit mehr potenziellen Kunden als jedes andere der Erde. Im Unterschied zu vielen anderen aufstrebenden Schwellenländern können sich immer mehr Chinesen auch teurere Qualitätsprodukte von deutschen Firmen leisten. Grund dafür sind unter anderem die rasant steigenden Löhne.
Die aber haben eine immense Schattenseite für internationale Unternehmen. „Chinas Lohnniveau hat sich einhergehend mit der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung rapide entwickelt“, sagt die Geschäftsführerin der Deutschen Handelskammer Nordchina, Alexandra Voss. Chinas Wirtschaft hat im dritten Quartal 2014 zwar das langsamste Wachstum seit fünf Jahren verbucht, liegt allerdings im internationalen Vergleich mit 7,3 Prozent immer noch auf einem hohen Niveau.
Arbeitnehmer können sich also auf noch höhere Löhne einstellen. Steigende Einkommen bedeuten, dass Konsumenten mehr Geld ausgeben können. Das Problem in China ist jedoch, dass die Löhne schneller wachsen als die Produktivität. Im Klartext heißt das, dass die Leistung eines Arbeitnehmers immer stärker den Kosten hinterherhinkt, die er seinem Unternehmen verursacht. „Wenn Löhne schneller als die Produktivität steigen, erhöhen sich die operativen Kosten der Unternehmen und beeinflussen damit die Profitabilität in einer negativen Weise“, erklärt Voss.
Dieses Missverhältnis hat zwei entscheidende Ursachen: politische Einflussnahme und Bevölkerungsentwicklung. Die Entwicklung der Einkommen orientiert sich in China nicht wie in Deutschland an der Inflation und der Produktivitätssteigerung, sondern an den von den Provinzen festgelegten Mindestlöhnen. Diese haben sich in den vergangenen sieben Jahren annähernd verdreifacht. Für Wirtschaftsprofessor Liu Yuanchun von der Pekinger Volksuniversität ist das eine bewusste politische Entscheidung.
„Das ist der Preis, denn wir für die Umstrukturierung der Wirtschaft zahlen müssen.“ Der zweite Grund hängt mit der Zahl der Arbeitskräfte zusammen. Im Jahr 2012 ging Chinas Arbeitsbevölkerung im Alter von 15 bis 59 Jahren erstmals seit den 70er Jahren zurück. Für Firmen in Chinas entwickelten Küstenstädten wird es immer schwerer, ausreichend qualifiziertes Personal zu finden.
Hochqualifizierte Arbeitnehmer können bei einem Wechsel ihrer Stelle oft ihr Einkommen verdoppeln, berichten Unternehmensvertreter. Die Kluft zwischen Löhnen und Produktivität treibt mittlerweile taiwanesische Firmen aus dem Land. Eine steigende Zahl von Betrieben wendet sich von China ab, zieht nach Südostasien weiter oder kehrt nach Taiwan zurück, gab kürzlich das Wirtschaftsministerium in Taipeh bekannt.
Einen ähnlichen Trend sieht Voss bei deutschen Firmen jedoch nicht. „Deutsche Unternehmen sind in China präsent, um den lokalen Markt zu bedienen“, sagt sie. Allerdings sei eine andere Entwicklung zu beobachten: „Der Anteil der Unternehmen, die aus China exportieren, geht stetig zurück.“ China wolle nicht mehr die Werkbank der Welt sein, meint Professor Liu. Arbeitsintensive Industrien sind nicht mehr so willkommen, dafür suche China nach Betrieben der Hochtechnologie.
Liu Yuanchun sagt: „Die Zeit, in der China mit Billiglöhnen einen Wettbewerbsvorteil hatte, sind vorbei.“