US-Marke Freightliner Daimler strebt Spitzenposition bei Elektro-Lastwagen an
Portland (dpa) - Martin Daum kämpft. „Wir sind fest entschlossen, die unbestrittene Nummer eins in der Elektromobilität zu werden“, stellte der Chef der Lkw-Sparte von Daimler in Portland im US-Bundesstaat Oregon klar.
Um das zu unterstreichen, präsentierte er gleich zwei neue Nutzfahrzeuge mit Elektroantrieb, die spätestens 2020 oder 2021 in den USA in die Serienproduktion gehen sollen.
Keine Scheinwerferkanonen, keine Wolken aus Kunsteis wabern über die Bühne in dem einfachen Zelt auf einer Rennstrecke nahe Portland, keine bombastische Musik. Geräuschlos und unauffällig rollt Daimlers Zukunft hinein. „Das müssen Sie hören - oder eben nicht.“ Nur das Knirschen des Sands unter den Reifen kündigt den eCascadia an. Das ist eine ausgewachsene Zugmaschine für einen schweren Sattelzug, der in den USA bis zu 36 Tonnen wiegen und 120 Kilometer pro Stunde schnell fahren darf. 30 Schwerlastwagen sollen noch dieses Jahr an Testkunden ausgeliefert werden.
Mit bis zu 730 PS Maximalleistung und einem 550-Kwh-Akku ist der eCascadia die Antwort auf die Herausforderung durch Branchenneuling Tesla. Dessen Semi-Zugmaschine soll ab 2019 Elektrolastwagen in den USA salonfähig machen. Der US-Hersteller Navistar arbeitet mit seinem Partner Volkswagen ebenfalls an einem Elektrokonzept.
Tesla verspricht bei seinem Elektro-Sattelschlepper je nach Batterie-Variante Reichweiten von bis zu 300 oder 500 Meilen (480 und 800 km). Daimlers klassisch mit einer Doppel-Fahrerkabine ausgestattete eCascadia wird eine Reichweite von bis zu 250 Meilen (400 km) haben. Das reicht für große Ladung auf mittlere Entfernungen und für feste und vorhersehbare Routen, zum Beispiel zwischen Zulieferbetrieben und Herstellern oder Häfen und Lagerhäusern.
Hier sieht Baum das wirkliche Potenzial, wenn Fahrzeuge am Ende des Tages in ihren Depots stehen und geladen werden, nicht beim unberechenbaren Leben eines transamerikanischen Langstreckentruckers auf endlosen Highways und einsamen Raststätten in der Wüste. Die Realität im Speditionsalltag verhindere diesen Einsatz schlicht und einfach noch. Fahrer von Elektroautos können ihre Fahrtrouten entlang von Ladestationen planen. Das Frachtangebot aber richtet sich nicht nach Akku-Ladestationen, sondern wird oft von einer Stunde zur anderen vergeben und dann muss der Fahrer da hin.
Daimler nimmt zudem aber auch Lieferungen im städtischen Bereich in Angriff, etwa von Zentrallagern zu Filialen. Der Freightliner eM2 wird dafür bis zu 480 PS und 325 Kwh Batterieleistung aufbringen. Binnen 90 Minuten lädt der eM2 rund 80 Prozent seiner Leistung nach, was ihn für den Stadtverkehr attraktiver machen soll. Außerdem gibt es da ein großes Problem, das die Verfechter von Elektro-LKWs nur ungern ansprechen. Die Kühlaggregate auf Lastwagen für Frischwaren verbrauchen dermaßen viel Strom, dass die Fahrleistung massiv darunter leidet. Schnelles Laden zwischendurch ist da ein Muss.
Insgesamt hat Daimler mit den neuen Modellen, dem eFuso für den asiatischen Markt, dem Mercedes-Benz eActros für den europäischen Markt und einem Elektro-Schulbus für die USA nach eigenen Angaben das größte Angebot von E-Lastern. Sie würden „mindestens“ so effizient zu betreiben sein wie ihre Diesel-Doppelgänger, verspricht Daum. Anders als Pkw-Käufer achteten Spediteure nur auf die Kosten. Da durch die Batterien mehr Gewicht an Bord kommt als durch den Rauswurf von Motor, Getriebe und Abgasanlage eingespart wird, sinkt zunächst die Nutzlast, räumt Daum ein. Aber die zweite Generation werde besser.
Das beschauliche Portland wird zum weltweiten Powerhaus für die Entwicklung elektrischer Nutzfahrzeuge bei Daimler ausgebaut. Insgesamt werden 2,5 Milliarden Euro in die Sparte investiert, davon 500 Millionen speziell für die Entwicklung schwerer Elektrofahrzeuge und eine neuen Forschungsstätte in Portland.
Auf die Frage, ob er einen schnellen Boom von Elektro-LKW voraussieht, reagiert Daum zurückhaltend. Zu viele Fragen seien noch offen. Zum Beispiel, wie man die Garantie handhaben könne. Dieselmotoren bekommen heute 800.000 Kilometer Vollgarantie. Aber wie ist das mit den Akkus? Wenn sie falsch behandelt werden, versagen sie früher, das weiß heute jeder Smartphonebesitzer.
Bei vernetzten Lastwagen könnte man erkennen, ob ein Akku ständig mit einem Schnelllader malträtiert oder in Ruhe über Nacht geladen werde, oder ob er zu heiß gefahren wurde - ein Riesenproblem bei LKWs mit hoher Zuladung, vor allem auf langen Steigungen. Daran könnte man eine Garantie orientieren. Aber werden die Kunden das akzeptieren?
Auf jeden Fall glaubt Daum nicht, dass Daimler den Zug zur Elektromobilität verschlafen hat. „Uns Herstellern wird oft vorgeworfen, wir seien zu langsam. Aber wir wissen einfach, was alles schiefgehen kann. Das müssen Start-ups noch lernen.“