Deutsche Wirtschaft trotzt Krisenzeichen
München (dpa) - Deutschlands Unternehmen bleiben in bester Laune. Die Stimmung der Wirtschaft hierzulande trotzt weiter den schlechten Nachrichten aus Griechenland, den tristen Konjunkturdaten aus den USA oder hohen Rohstoffpreisen.
Der ifo-Index kletterte entgegen allen Erwartungen um 0,3 auf 114,5 Punkte - und überraschte die Fachleute. Allerdings trübten sich die Erwartungen der befragten Unternehmen zum vierten Mal in Folge leicht ein. Eine Trendwende sei dennoch nicht zu erwarten. „Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einem robusten Aufschwung“, sagte ifo-Chef Hans-Werner Sinn am Freitag in München.
Bereits im Februar war der wichtigste Frühindikator der deutschen Wirtschaft auf den höchsten Stand seit der Wiedervereinigung geklettert und erreichte nach der neuen Berechnung des Indexes 115,4 Punkte. Zweimal ging der ifo-Index danach leicht zurück und fing sich im Mai vor allem wegen der außergewöhnlich guten Lagebeurteilung der befragten Firmen wieder. Nun ging es erneut aufwärts. „Dies ist eine klare Überraschung in einem Umfeld, das derzeit von fallenden Frühindikatoren und Pessimismus geprägt ist“, schreibt die Commerzbank-Expertin Ulrike Rondorf in einer ersten Reaktion.
Denn vor allem in den USA bietet sich ein anderes Bild. Dort musste die Notenbank zum zweiten Mal in wenigen Monaten ihre Konjunkturprognose senken. Die Erholung verlaufe „frustrierend langsam“, sagte der Chef der Federal Reserve (Fed), Ben Bernanke. Von Frustration ist im Boom-Land Germany nichts zu spüren, obwohl die Zahl der Risiken in den vergangenen Wochen nicht kleiner wurde. Doch so beherrschend etwa die schwere Schuldenkrise in Griechenland wirkt, für die deutsche Wirtschaft hat sie bislang kaum Folgen.
Für den Export etwa sei das Land ein vergleichsweise kleiner Markt, sagte ifo-Experte Klaus Abberger. Vor allem deshalb mache sich die Schuldenkrise in der Realwirtschaft noch nicht bemerkbar. „Doch das kann sich natürlich rasch ändern“, warnte Abberger. Sollte auch Deutschland künftig etwa für seine Schulden höhere Zinsen zahlen müssen, könne sich die Schuldenkrise auch auf die Firmen auswirken.
Derzeit seien die Auftragsbücher prall gefüllt. „Damit haben sich die Unternehmen ein Polster geschaffen.“ Zwar versuchten etwa asiatische Boomländer, ihr rasantes Wachstum abzubremsen, um eine Überhitzung zu vermeiden. „Diese Entwicklung ist aber eigentlich positiv“, sagte Abberger. Größere Sorgen mache vielen Managern die Entwicklung in den USA. „Das ist ein Grund, warum viele Unternehmen bei der Einschätzung ihrer Erwartungen vorsichtiger sind.“
Denn so begeistert die Firmen von ihrer aktuellen Lage sind: Die Aussichten bewerten etliche deutlich skeptischer. Hier sank der ifo-Wert von 107,4 auf 106,3 Punkte. „Auf den ersten Blick scheinen sich die Indikatoren zu widersprechen“, schreibt Expertin Rondorf. Doch die Fachleute sind sich einig: Eine Trendwende stehe nicht an. „Je besser die Geschäftslage aktuell sich darstellt, umso weniger wahrscheinlich ist eine nochmalige Verbesserung“, erklärt der Konjunktur-Experte der Allianz, Rolf Schneider. Der skeptischere Blick in die Zukunft sei ein Zeichen der Normalisierung. Er bedeute nicht, „dass der Aufschwung schon zu Ende geht“, schreibt Rondorf. Das passt zu den großen Erwartungen anderer Konjunkturforscher, die zuletzt ihre Wachstumsprognosen nochmals nach oben schraubten. So erwartet das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) für 2011 ein Wachstum von 3,7 Prozent. Im März war das RWI noch von 2,9 Prozent ausgegangen. Zuvor hatte das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) seine Prognose auf 3,5 Prozent angehoben, die Kollegen des Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) erwarten 3,6 Prozent. Für 2012 rechnen allerdings alle damit, dass sich das Tempo des Aufschwungs verlangsamt. Stoppen werde er nicht.