Die Bahn braucht neuen Strom
Berlin (dpa) - Keiner verbraucht so viel Strom wie die Bahn. Zwei Prozent des deutschen Verbrauchs fließt in den Betrieb von täglich 20 000 Zügen. Der DB-Jahresverbrauch von 12 Milliarden Kilowattstunden entspricht dem Berlins.
Das neue Zeitalter nach Fukushima zwingt auch die Bahn, neue Quellen zu erschließen. „Wir kaufen alles auf, was zu vertretbaren Konditionen am Markt an regenerativen Energien verfügbar ist“, hatte Vorstandschef Rüdiger Grube im Frühjahr betont, kurz nachdem in Japan die Meiler außer Kontrolle gerieten.
Und wie sieht es mittlerweile aus, wo der Atomausstieg Gesetz ist? „Im Moment können wir die Situation beherrschen“, sagt ein Sprecher der DB Energie mit Blick auf weniger Atomstromlieferungen durch die Stilllegung von acht AKW. So habe man sich frühzeitig auf die Abschaltung des alten Meilers in Neckarwestheim vorbereitet. Allein acht Prozent des Bahnstroms kamen bisher aus Neckarwestheim 1.
Mit RWE-Chef Jürgen Großmann unterzeichnete Grube Ende Juli einen Milliarden-Vertrag zur Lieferung von Strom aus RWE-Wasserkraftwerken. Von 2014 bis 2028 werden 14 Wasserkraftwerke die Züge der Bahn mit Ökostrom versorgen. Die jährlich rund 900 Millionen Kilowattstunden können rund ein Drittel der ICE und IC mit Strom versorgen - die Menge entspricht dem Verbrauch von einer Viertelmillion Haushalten.
Die Bahn hat für ihren Strom eine eigene Frequenz, deshalb wird dieser zum Beispiel in Neckarwestheim, wo bis 2022 noch Block II laufen wird, direkt in 16,7-Hertz-Bahnstrom umgewandelt. Insgesamt muss ein 19 900 Kilometer langes elektrifiziertes Schienennetz mit Energie betrieben werden. Der Bahnstrom wird über ein eigenes, rund 7700 Kilometer langes Verteilnetz zu den Oberleitungen transportiert. Insgesamt ist die DB Energie einer der größten Stromversorger. Die EU-Kommission verdächtigte jüngst die Bahn, Konkurrenten auf ihrem Netz höhere Strompreise zu berechnen als ihren eigenen Töchtern, weshalb es Ende März zu Büro-Durchsuchungen durch EU-Ermittler kam.
Um die Energieversorgung auf ein breiteres Fundament zu stellen, schloss die Bahn mit Ökoanbietern Verträge, etwa mit Windparks - so bezieht DB Energie seit einigen Monaten Strom von fünf Windrädern im Naturpark Hoher Fläming in Brandenburg und sie erhält Strom aus dem Windpark Märkisch Linden - aber das ist im Vergleich zum täglichen Bedarf vernachlässigenswert. Da man auf kontinuierliche Lieferungen angewiesen ist, ist Wasserkraft der wichtigste Grünstromposten.
2010 hatte Atomstrom bei der Bahn einen Anteil von 22,1 Prozent, Kohle und Gas kamen auf 58, Ökoenergien auf 19,8 Prozent. Greenpeace hatte mit Kampagnen den bisher hohen Atomstromanteil bei der Bahn ins Visier genommen. Durch den Vertrag mit RWE steigt der Ökostromanteil bei der Bahn bis 2014 auf bis zu 28 Prozent - das könnte dann den Bundesdurchschnitt übertreffen, der derzeit bei 20 Prozent liegt. Der nächste Castor-Transport nach Gorleben besteht nach Angaben von Greenpeace rechnerisch komplett aus Atommüll der Bahn. 110 Tonnen habe die Bahn allein in Neckarwestheim verursacht.
Zwar wird der Atomstrom weniger, aber besonders die Kohle bleibt für die Bahnversorgung sehr wichtig. Ein großes Problem bleibt daher das Steinkohlekraftwerk Datteln in Nordrhein-Westfalen. Wenn Datteln 4 (1055 Megawatt) wegen des juristischen Streits nicht rasch ans Netz gehen kann, könnte die Bahn durch eine erhöhte Stromnachfrage im süddeutschen Raum die Netzbelastung weiter verschärfen, betont der Präsident der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth. In Bahn-Kreisen weist man diese Bedenken zurück. Man könne wegen eines fehlenden eigenen Übertragungsnetzes gar nicht Strom für Züge in NRW aus dem Süden holen. „Strom für NRW muss auch daher kommen“, heißt es.
Die Bundesnetzagentur rät zu einem Weiterbetrieb der alten Datteln-Blöcke 1 bis 3, die 2012 den Betrieb einstellen sollten und direkt in das 16,7-Hertz-Netz der Bahn einspeisen. Sonst müsste die Bahn ab 2013 womöglich aus dem öffentlichen Netz mehr Strom beziehen, der als Reserve bei Engpässen fehlen könnte. Auch die DB-Energie sieht Datteln als Achillesferse, nicht nur bei der Stromversorgung, sondern auch mit Blick auf den Klimaschutz. „Mit Datteln 4 würden 780 000 Tonnen weniger CO2 pro Jahr ausgestoßen“, betont ein Sprecher.