„Die Griechen werden sich zu Tode sparen“
Wuppertal. Paul Welfens (53) leitet das Europäische Institut für internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Wuppertal. Im Gespräch mit der WZ über die Lage Griechenlands plädiert der Professor für eine Umschuldung.
Welfens: Spekulanten sind ein Teil des Problems, aber der Hauptgrund liegt in der falschen Weichenstellung der griechischen Wirtschafts- und Finanzpolitik. Spekulanten haben nur eine Chance, wenn die grundlegenden Daten nicht stimmen. Eine Quote von zehn Prozent Neuverschuldung ist hochgefährlich, das hat die mexikanische Schuldenkrise 1982 gezeigt. Supergefährlich ist, was wir jetzt erleben: Es ist ja nicht nur das kleine Griechenland, das ein so hohes Defizit hat. Auch Portugal, Spanien, Irland, Großbritannien und die USA reichen an diese Marke heran.
Welfens: Man hätte Griechenland zur Umschuldung zwingen müssen. Dazu hätten die USA mit ins Boot geholt werden müssen, denn viele US-Banken sind Gläubiger des griechischen Staates beziehungsweise der südeuropäischen Länder. Eine 30-prozentige Abschreibung auf griechische Staatsanleihen hätte jede Bank ohne Probleme verkraftet - mit Ausnahme vielleicht der Hypo Real Estate, da wären das drei Milliarden Euro Verlust gewesen. Aber die ist sowieso schon in staatlicher Hand. Eine solche Umschuldung lässt sich natürlich nicht in 24 Stunden durchziehen. Dazu braucht man Wochen. Man muss der EU vorwerfen, zu kurzfristig nach Lösungen zu suchen.
Welfens: Solange die Europäische Zentralbank ihre Aufkäufe von Staatsanleihen durch den Verkauf anderer Papiere sterilisiert, passiert nichts. Ein Problem entsteht nur, wenn die Schuldner ausfallen. Das wird dann richtig teuer. Oder die EZB muss die Notenpresse anwerfen. Langfristig wäre eine Inflationsrate von drei bis vier Prozent nicht erstaunlich.
Welfens: Es ist völlig unrealistisch, dass Griechenland in drei Jahren stabilisiert werden kann. Die Sparauflagen sind ein stabilitätspolitischer Overkill. Die verlangte Medizin wirkt so, dass der Patient in drei Jahren fast tot ist. Realistisch wäre ein Anpassungszeitraum von vier bis sechs Jahren für die griechische Wirtschaft, in Verbindung mit einer Umschuldung. Es ist doch so: Wenn die Wirtschaftsleistung sinkt, wovon in Griechenland auszugehen ist, steigt die Staatsschuldenquote um eben diesen Prozentsatz.
Welfens: Eine Bankenabgabe könnte man vielleicht in fünf Jahren bei konjunkturellem Sonnenschein angehen. Die Finanztransaktionssteuer sollten Deutschland und Frankreich sofort einführen, die würde wenigstens ein bisschen Geld in die Kasse bringen. Die Schweiz und andere OECD-Länder könnten sich anschließen, dann würde der Kreis bald größer. Die Frage ist doch: Will der Westen als Werte- und Wirtschaftsgemeinschaft noch eine Führungsrolle beanspruchen oder diese demnächst an China abtreten?
Welfens: Das ist für mich ein vorgeschobenes Argument. Es wird ja auch vor Ausweichmanövern gewarnt. Ja, die kann und wird es in bestimmten Geschäftsbereichen geben. Aber die Politik sollte es ausprobieren. Ein Prozent Mehreinnahmen vom Bruttoinlandsprodukt - wie wunderbar. Das senkt das Haushaltsdefizit, daran muss jeder Politiker ein Interesse haben.