Reizgas aus dem Auspuff Diesel-Skandal: Was Stickoxide gefährlich macht

Berlin (dpa) - Im Zentrum der Debatte um den Diesel steht ein Gas: Stickstoffdioxid. Weil Bewohner vieler deutscher Städte davon mehr einatmen, als sie nach EU-Grenzwerten dürfen, hat die Bundesregierung Ärger mit Brüssel, mit Umweltschützern, mit Autofahrern, die Fahrverbote fürchten - und mit Bürgern, die sich um ihre Gesundheit sorgen.

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Zu Recht? Das Umweltbundesamt, die Umweltbehörde der Bundesregierung, hat sich verschiedene Studien dazu angeschaut.

Zu welchem Ergebnis kommt das Umweltbundesamt?

Rund 6000 Menschen in Deutschland sterben demnach pro Jahr vorzeitig an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die von Stickstoffdioxid ausgelöst werden - das ist jedenfalls die Zahl für 2014. Früher waren es mehr, denn die Luft ist schon sauberer geworden. Ebenfalls 2014 war eine Langzeitbelastung mit Stickoxiden demnach für rund eine Million bestehende Krankheitsfälle verantwortlich, darunter für acht Prozent der Erkrankungen mit Diabetes Typ 2 und 14 Prozent der Asthma-Fälle. Der Studie zufolge kann NO2 über einen längeren Zeitraum schon in relativ geringen Konzentrationen schwere Folgen haben, wie sie etwa in ländlichen Räumen vorkommen.

Wie ist das UBA vorgegangen?

Wissenschaftler unter anderem vom Helmholtz-Zentrum in München haben im Auftrag des UBA keine eigenen Versuche gemacht, sondern viele bestehende epidemologische Studien ausgewertet. Im Gegensatz zu toxikologischen Studien werden dabei Personen nicht gezielt NOx ausgesetzt, sondern es werden Personen mit einer hohen NO2-Belastung etwa in Städten mit Personen verglichen, die einer niedrigeren Konzentration ausgesetzt sind. Solche Studien ermöglichen zwar keine Aussagen über ursächliche Beziehungen, aber sie liefern Erkenntnisse zu statistischen Zusammenhängen zwischen negativen gesundheitlichen Auswirkungen und NO2-Belastungen. So haben die Wissenschaftler berechnet, dass 1,8 Prozent der Menschen die 2014 an Herz-Kreislauf-Erkrankungen starben, als Folge einer langfristigen NO2-Belastung vorzeitig starben - so kommen rund die 6000 zustanden.

Was sagen andere Wissenschaftler zur UBA-Untersuchung?

Die Abgrenzung der Stickoxid-Schäden von jenen des Feinstaubes sei schwierig, sagt Nino Künzli, der Vizedirektor des Schweizerisches Tropen- und Public Health Instituts Basel. Verglichen mit den Folgen des Feinstaubes, insbesondere des Dieselrußes, seien Stickoxide ein „gesundheitliches Randproblem“. Ulrich Franck vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig merkt an, dass die NO2-Belastung der Außenluft im Verhältnis zu anderen Gesundheitsrisiken ein „kleines, aber reales Risiko“ darstelle - auch er sieht Feinstaub als das größere Problem.

Tamara Schikowski vom Leibniz-Institut für umweltmedizinische Forschung in Düsseldorf weist darauf hin, dass man in solchen Studien keine Informationen zu anderen Risikofaktoren habe, „zum Beispiel Rauchen, Übergewicht oder andere Lebensstilfaktoren.“ Danach gefragt, argumentierte Myriam Tobollik, dass es in epidemologische Studien in allen betrachteten Gruppen Vorerkrankungen gebe und bestimmte Faktoren herausgerechnet würden.

Stickoxide, Stickstoffdioxid, NOx - was ist eigentlich was?

Stickstoffoxide, oder kürzer Stickoxide, ist eine Sammelbezeichnung für die Oxide des Stickstoffs, also Verbindungen von Stickstoff (chemisch N) mit Sauerstoff (chemisch O). Abgekürzt werden sie NOx. Meistens geht es in der Diesel-Debatte um das Gas Stickstoffdioxid, abgekürzt NO2. Stickstoffmonoxid (NO) ist weniger schädlich als NO2, allerdings in höherer Konzentration auch nicht harmlos.

Wo kommt NOx her?

Die Gase entstehen überall, wo Kohle, Öl, Gas oder Holz verbrannt werden. In Städten kommen dem UBA zufolge 60 Prozent der Stickoxide vom Verkehr. Benziner haben damit so gut wie kein Problem, Stickoxid-Emissionen sind ein Diesel-Thema.

Warum ist Stickstoffdioxid überhaupt gesundheitsschädlich?

Es ist ein ätzendes Reizgas, das als Oxidationsmittel im Körper chemische Reaktionen an verschiedenen Stellen auslöst, etwa in den Augen und den Atemwegen. Gesunde Menschen merken davon meistens erst mal nichts. Ein akutes Problem ist NO2 aber für vorgeschädigte Menschen, etwa Asthmatiker oder Herz-Kreislauf-Kranke. Als Risikogruppe gelten auch Kinder, deren Atemwege sich ja noch entwickeln.

Welche Auswirkungen hat NO2 im Körper?

Es ist nicht einfach, die Wirkungen verschiedener Schadstoffe exakt voneinander abzugrenzen. NO2 gelang hauptsächlich beim Atmen in den Körper und dringt bis tief in die Lunge vor. In der Lunge kann es Zellen angreifen und Entzündungsprozesse auslösen. NO2 kann die Bronchien überempfindlich machen und das Risiko für Allergien und chronische Krankheiten erhöhen. Belegt ist, dass mehr Menschen wegen chronischer Bronchitis, Asthma und Herz-Kreislauf-Krankheiten ins Krankenhaus müssen, wenn die Belastung hoch ist.

Hat das auch was mit Feinstaub zu tun?

Ja, denn NO2 ist eine Vorläufersubstanz von Feinstaub. Primärer Feinstaub entsteht direkt bei Verbrennungsprozessen oder durch Abrieb etwa von Reifen oder Bremsbelägen. Die Bildung von sekundärem Feinstaub wird durch gasförmige Vorläufersubstanzen - etwa Schwefel- und Stickoxide und Ammoniak - begünstigt. NO2 ist im Sommer auch für die Bildung von Ozon am Boden verantwortlich, das wiederum den Atemwegen schadet.

Schaden Stickoxide auch der Natur?

Ja. Allerdings treten unmittelbare Schäden an Pflanzen nur in direkter Nähe von Stickstoffdioxid-Quellen auf. Das Gas kann Zellen von Pflanzen schaden, so dass Blätter sich gelb färben, das Wachstum behindern oder Pflanzen vorzeitig altern lassen. Zudem trägt Stickstoffdioxid zur Überdüngung und Versauerung von Böden und in geringem Maße auch von Gewässern bei, wie das UBA schreibt.

Aber ist die Luft nicht heute viel sauberer als früher?

Das ist richtig. Insgesamt sind die NOx-Emissionen laut UBA von 1990 bis 2016 von rund 2,9 Millionen Tonnen pro Jahr auf knapp 1,2 Millionen Tonnen zurückgegangen, der Verkehr hat dazu am meisten beigetragen. Er stößt heute deutschlandweit um 67 Prozent weniger NOx aus als 1990. An den Gesundheitsgefahren der Gase ändert das aber nichts. Die Grenzwerte - ein 1-Stunden-Grenzwert von 200 Mikrogramm pro Kubikmeter, der höchstens 18 mal im Jahr überschritten werden darf, und ein Jahresmittelwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter - gelten in der EU seit 2010 und beruhen auf einer Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation WHO.