Eurokrise: Der Streit der Ökonomen
Die massive Kritik von Wissenschaftlern an den jüngsten EU-Beschlüssen löst Widerspruch aus — auch von Kollegen.
Berlin/Frankfurt. Manchmal scheint es, als seien sie die Profiteure der Eurokrise: die Volkswirte. Präsent auf allen Kanälen, erläutern die zumeist männlichen Experten der Bevölkerung die Winkelzüge von Politik und Finanzmärkten in dem Schlamassel. Normalerweise ist dies auch in Berliner Regierungskreisen willkommen, denn die Ökonomen helfen den Politikern nach komplizierten EU-Gipfelbeschlüssen beim Erklären und Interpretieren. Doch mit der Eintracht ist nun Schluss: Zwischen Politik und Volkswirten sowie unter den Wissenschaftlern selbst ist ein heftiger Streit entbrannt.
Der Anlass: der offene Brief, den mehr als 170 Ökonomen unterzeichnet haben — mit dem prominenten Chef des Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, an der Spitze. Darin kritisieren sie vor allem die beim jüngsten EU-Spitzentreffen beschlossenen Pläne für eine Bankenunion in Europa und warnen die Steuerzahler in Deutschland und anderen „soliden Ländern“ vor Haftungsrisiken und Erpressungsversuchen der Krisenstaaten.
Die Antwort kam prompt: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) empfahl den Ökonomen, das Kleingedruckte der Beschlüsse zu lesen — von einer zusätzlichen Haftung könne keine Rede sein.
Auch Kollegen legen Einspruch ein: Der Brief schüre „Ängste und Emotionen“ und unterbreite keine eigenen Lösungsvorschläge, so heißt es laut „Handelsblatt“ in einer Replik, die angesehene Fachleute wie der Chef des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, verfasst haben. Auch der nicht unbedingt als regierungsfreundlich bekannte Wirtschaftsweise Peter Bofinger schimpft auf „schlimmste Stammtisch-Ökonomie“.
Am Freitag stellten sich zudem 15 namhafte Volkswirte hinter die Beschlüsse des Gipfels. „Ein gemeinsamer Währungsraum mit freien Kapitalströmen kann ohne eine Europäische Bankenunion nicht sinnvoll funktionieren. Die Beschlüsse auf dem letzten EU-Gipfeltreffen gehen deshalb in die richtige Richtung“, schreiben die Ökonomen in einer Stellungnahme.
Beatrice Weder di Mauro (Ex-Wirtschaftsweise), Dennis Snower (Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft/IfW), Hans-Helmut Kotz (Ex-Bundesbankvorstand) und zwölf weitere Ökonomen gehen damit auf Konfrontationskurs zu der Protestbewegung um Sinn.