Europas Defizitsündern bleiben Milliarden-Strafen erspart
Brüssel (dpa) - Milde für Schuldenmacher: Die EU erspart Defizitsündern wie Belgien, Frankreich oder Spanien milliardenschwere Geldbußen. Die EU-Kommission will wegen der schweren Wirtschaftskrise insgesamt sechs Euroländern mehr Zeit zum Sparen geben, damit sie mit den Reformen das Wachstum ankurbeln.
Das hoch verschuldete Italien soll zudem ganz aus dem Defizit-Strafverfahren der EU entlassen werden. Mehr Zeit zum Sparen bekommen auch die Niederlande, Portugal und Slowenien, teilte EU-Währungskommissar Olli Rehn am Mittwoch in Brüssel mit.
Die sechs Länder werden nach dem Willen Brüssels in ihren Defizitverfahren verlängerte Fristen erhalten, um die Schuldengrenze des Maastrichter Vertrags von drei Prozent der Wirtschaftsleistung wieder einzuhalten. Belgien, die Niederlande und Portugal sollen ein zusätzliches Jahr erhalten, Frankreich, Slowenien und Spanien zwei.
Besonders Belgien war zuletzt ins Visier gerückt. Es verstieß schon im vergangenen Jahr gegen seine Sparversprechungen. „Ich sehe keine Notwendigkeit von finanziellen Sanktionen“, sagte der liberale Rehn. Mit den verschärften EU-Schuldenregeln kann Brüssel hohe Geldbußen gegen Schuldensünder hohe Strafgelder verhängen. Die EU-Finanzminister müssen den Vorschlag noch billigen und werden bei ihrem nächsten Treffen am 21. Juni darüber beraten.
Frankreich muss nach dem Willen Brüssels seine Wirtschaft reformieren. „Frankreich hat in den vergangenen zehn, vielleicht sogar auch 20 Jahren an Wettbewerbsfähigkeit verloren“, warnte EU-Kommissionschef José Manuel Barroso. Als Gegenleistung für die Fristverlängerung müssten die Arbeitskosten sinken und die Energie- oder Dienstleistungsmärkte sich für mehr Wettbewerb öffnen.
Scharfe Kritik an Frankreich und anderen EU-Staaten äußerte EU-Energiekommissar Günther Oettinger. Bei der Jahreshauptversammlung der Deutsch-Belgisch-Luxemburgischen Handelskammer habe Oettinger Europa als „Sanierungsfall“ bezeichnet, berichtete die „Bild“-Zeitung (Mittwoch). Frankreich sei „null vorbereitet auf das, was notwendig ist“: Dies seien Rentenkürzungen, längere Lebensarbeitszeit und eine geringere Staatsquote. Bulgarien, Rumänien und Italien seien „im Grunde genommen kaum regierbar“ und machten ihm daher Sorgen. Deutschland sei auf dem Höhepunkt seiner ökonomischen Leistungskraft, werde aber auch nicht stärker.
Europas größte Volkswirtschaft Deutschland stehe wirtschaftlich gut da, müsse aber noch Hausaufgaben erledigen, resümierte Barroso. Auf die Kritik Oettingers ging er nicht ein. Der konservative Portugiese fordert Lohnerhöhungen und mehr Wettbewerb auf den Dienstleistungsmärkten. „Wir brauchen eine starke deutsche Wirtschaft im Zentrum Europas.“
Barroso sprach von einem „Stabilitätsanker“. Keiner fordere von Deutschland, weniger wettbewerbsfähig zu sein. Im Bericht zu Deutschland fordert die Kommission, vor allem am Arbeitsmarkt seien Strukturreformen nötig, so müssten etwa die hohen Steuern und Sozialabgaben für Geringverdiener sinken. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) erklärte in Berlin, die erreichten Erfolge könnten kein Grund sein, sich zurückzulehnen. „Der globale Wettbewerb bleibt hart, und Deutschland muss wie die anderen Mitgliedsstaaten der EU auch, laufend an seiner Wettbewerbsfähigkeit arbeiten.“
Barroso verteidigte seinen Kurs angesichts von Massenarbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise. „Wir haben jetzt Raum, um das Tempo bei der Haushaltskonsolidierung zu drosseln.“ Das Tempo der Budgetsanierung sei auf den jeweiligen Staat zugeschnitten. Während Defizitländer mehr für ihre Wettbewerbsfähigkeit tun müssten, sollten Überschussländer - wie Deutschland - mehr unternehmen, um die Binnennachfrage anzukurbeln. Eine besonders große Herausforderung sei die Bekämpfung der steigenden Arbeitslosigkeit, besonders unter Jugendlichen.
Die drittgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone Italien soll nach vier Jahren aus dem Defizit-Strafverfahren der EU entlassen werden. Rom soll damit etwas mehr Spielraum in der Budgetpolitik bekommen. Barroso betonte aber, Italien könne sich nicht zurücklehnen. Der hohe Schuldenstand von über 130 Prozent der Wirtschaftsleistung sei „eine große Last für die italienische Wirtschaft.“
Ebenfalls aus dem Verfahren entlassen werden sollen vier weitere EU-Länder, die nicht zum Euro-Währungsgebiet gehören: Lettland, Ungarn, Litauen und Rumänien. Mehr Zeit für den Schuldenabbau soll zudem das Nicht-Euroland Polen erhalten. Malta soll ein Defizitverfahren neu bekommen.