Experte: Eigenkapitalanforderungen für Banken zu gering
Bonn (dpa) - Die neuen Regeln für Banken ändern nach Ansicht des Finanzexperten Martin Hellwig nichts Wesentliches an den Risiken im Finanzsystem. „Basel III kann überhaupt nicht zufriedenstellen“, sagte der Wissenschaftler der Max-Planck-Gesellschaft der Finanz-Nachrichtenagentur dpa-AFX.
„Die Verhandlungen waren sehr politisch.“ Europas Banken seien nach wie vor viel zu hoch verschuldet. Hellwig fordert deutlich härtere Eigenkapitalregeln.
Besonders problematisch ist aus seiner Sicht, dass Banken weiter ihre internen Modelle bei der Berechnung von Risiken anwenden können. Manipulationen seien von der Aufsicht kaum zu kontrollieren. Zudem würden wichtige Risiken - etwa bei Staatsanleihen oder der Refinanzierung von langfristigen Krediten - völlig ausgeklammert. Auch auf Wechselbeziehungen von Risiken werde nicht geachtet. „Das sind lauter Risiken, die in den letzten 30 Jahren schwere Krisen verursacht haben.“
Hellwig wirbt stattdessen für eine pauschale Schuldenobergrenze. Dabei müssen die Banken für die gesamte Bilanzsumme unabhängig vom Risiko einer Anlage Eigenkapital vorhalten. Nach Hellwigs Vorschlag sollten Banken mindestens 20 bis 30 Prozent ihrer Anlage aus eigenem Vermögen finanzieren. Im Gegenzug für die rigiden Vorgaben will Hellwig die Institute darüber hinaus in Ruhe lassen. Von Eingriffen in Geschäftsmodelle - etwa der Trennung des klassischen Bankgeschäfts vom Investmentbanking - hält er wenig.
Von Hellwigs Eigenkapitalforderungen sind die Banken noch weit entfernt. Derzeit haben die zehn größten deutschen Institute gerade einmal 1,9 Prozent ihrer gesamten Bilanzsumme mit eigenen Mitteln abgedeckt, vorgesehen im Basel III-Regelwerk sind 3 Prozent. Gerade die deutschen Institute laufen Sturm gegen eine pauschale Schuldenobergrenze. Sie warnen, dass solche Auflagen für teures Eigenkapital zu einer Kreditklemme führen könnte.
Hellwig weist die Bedenken zurück. „Die Argumente der Banken sind teils unsinnig, teils irrelevant.“ Unsinnig, weil etwa Eigenkapital und Barreserven verwechselt würden. Oder weil übersehen werde, dass die Eigenkapitalkosten vom Risiko abhingen und das Risiko kleiner sei, wenn mehr Eigenkapital eingesetzt werde.
Richtig sei, dass viele Banken nicht profitabel seien und deshalb Schwierigkeiten hätten, neues Eigenkapital aufzunehmen. „Das liegt aber daran, dass die Branche zu groß ist. Der Bankensektor muss endlich schrumpfen. Die Branche ist in den letzten zwanzig Jahren aufgebläht worden, ohne dass die Realwirtschaft davon viel Nutzen hatte“, sagt Hellwig.
Daran habe sich aber gerade Europa bislang nicht herangetraut. Derzeit würden viele marode Institute mit dem billigen Geld der Notenbanken über Wasser gehalten. Hellwig ist deshalb gespannt, was bei dem Check der Bankenbilanzen vor Übernahme der Aufsicht durch die Europäischen Zentralbank herauskommt. „Bleibt es dabei, dass man so tut, als gäbe es keine Leichen in den Kellern? Oder versucht man, die Verluste, die da sind offenzulegen?“