Integration Flüchtlinge — ein Segen fürs Handwerk?
Betriebe suchen händeringend Nachwuchs. Die Spitzenvertreter der Branche sehen in der Migration auch eine Chance.
Duisburg. Die täglichen Nachrichten über die Zuwanderung von Flüchtlingen lässt bei manch einem die Angst wachsen: Sind diese Menschen nicht nur eine neue Konkurrenz um Wohnraum, sondern auch um Arbeitsplätze? Dabei könnte es auch andersherum sein: dass sie nämlich durchaus von unserer Gesellschaft gebraucht werden. Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer und Andreas Ehlert, Präsident der Handwerkskammer Düsseldorf, betonen am Montag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in Duisburg, dass das Handwerk im eigenen Interesse an einer raschen Integration interessiert sei. Wollseifer: „Wie schon im vergangenen Jahr werden auch jetzt wieder 20 000 Lehrstellen unbesetzt bleiben. Unsere Betriebe leiden bereits in vielen Gewerken und Regionen unter akuter Fachkräfteknappheit.“
Aber passt das überhaupt? Junge Menschen, die nicht deutsch sprechen, womöglich traumatisiert sind — können die so einfach eine Ausbildung beginnen? Lothar Hellmann will eben dies unter Beweis stellen. Der Chef eines Fachbetriebs für Gebäude- und Informationstechnik in Duisburg mit mehr als 100 Beschäftigten ist einem Aufruf der Handwerkskammer gefolgt, richtete drei zusätzliche Ausbildungsplätze ein — und besetzte sie mit zwei Migranten aus Krisenländern und einem Studienabbrecher. „Für mich ist egal, woher meine Auszubildenden kommen, vor allem müssen sie möglichst schnell deutsch lernen.“
Bei dieser Sprachschulung sieht das Handwerk allerdings den Staat in der Pflicht. Handwerkskammer-Chef Ehlert: „Bei dieser unabdingbaren Voraussetzung für eine erfolgreiche Arbeitsaufnahme erwarten wir besonders eine Anstrengung beim Bund: dass es nicht acht Monate dauert, bis ein Bewerber mit geklärtem Bleibestatus an einem amtlichen Deutschkurs teilnehmen kann.“ Wollseifer fordert darüber hinaus, dass sich Bund und Länder bei der frühzeitigen Feststellung der Fähigkeiten der Flüchtlinge und bei Berufsvorbereitungskursen engagieren. Und eindringlich betont er, dass sich die Betriebe darauf verlassen wollen, dass der Auszubildende für die Gesamtdauer der Ausbildung auch wirklich im Land bleiben dürfe. „Die nur jeweils einjährige Duldung stellt für viele Betriebe und und auch für die jungen Menschen eine große Hürde dar.“ Hier könne die Politik einen verlässlichen Rechtsrahmen schaffen. Der dann möglichst so weit reiche, dass der Auszubildende auch noch nach seiner Ausbildungszeit dem Betrieb zwei Jahre oder mehr zur Verfügung stehe.
Ins gleiche Horn stößt Firmenchef Hellmann: „Ausbildung ist für uns nicht Selbstzweck, sondern wir investieren dabei in die Köpfe unserer Mitarbeiter. Wir bilden die jungen Leute doch aus, damit wir sie später auch im Betrieb haben.“
Um die klaffenden Lücken bei den Zahlen der Auszubildenden zu schließen, hat das Handwerk freilich nicht nur Flüchtlinge im Blick. Handwerkskammerpräsident Ehlert wirbt besonders auch um Abiturienten und Studienabbrecher. Für diese sei eine Ausbildung im Handwerk mit anspruchsvollen Arbeiten und den Aussichten auch auf eine Unternehmerkarriere „viel mehr als nur ein Plan B, sondern ein Plan A 2“. Ebenso ermuntert er junge Frauen, dass es eigentlich keinen der 130 Ausbildungsberufe gebe, der nicht auch für diese in Frage komme.
Ehlert spart auch nicht mit Kritik an der Landepolitik. So gebe es nur eine „dürftige Fachlehrerversorgung an den Berufsschulen. Und die Gymnasien müssten unbedingt von ihrer „einseitig kognitiv ausgerichteten Didaktik“ herunterkommen. So müsse es Angebote für Werkunterricht geben, damit auch die Schüler dieses größten Schultyps ihre praktisch-technischen Fertigkeiten erproben könnten.