Gabriels große Kraftwerks-Reform - Kritik an „Kohle-Abwrackprämien“
Berlin (dpa) - Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) will mit einem neuen Masterplan wichtige Baustellen bei der Energiewende abräumen.
So soll sich der Staat künftig weitgehend aus dem Strommarkt heraushalten, der Preis sich allein an der Börse bilden.
Den von den Energiekonzernen geforderten Sonderprämien für das Vorhalten von Kraftwerken, um Netzschwankungen durch Wind- und Sonnenstrom aufzufangen, erteilt Gabriel in einem der Deutschen Presse-Agentur vorliegenden Entwurf für ein neues Strommarkt-Gesetz endgültig eine Absage. Der SPD-Chef hatte stets argumentiert, ein „Hartz IV“ für überflüssige Kraftwerke werde es mit ihm nicht geben.
Allerdings zückt Gabriel das Scheckbuch, um für das Erreichen der Klimaschutzziele alte Braunkohle-Meiler mit einer Leistung von 2,7 Gigawatt bis 2020 schrittweise stillzulegen. Die Betreiber wie RWE, Vattenfall & Co. sollen dafür mehrere Hundert Millionen Euro an Entschädigung erhalten. Diese Kosten werden am Ende die Stromkunden tragen müssen. Grüne, Linke und Umweltverbände werfen Gabriel und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) daher nun ein doppeltes Spiel vor.
Greenpeace-Energieexperte Tobias Austrup meinte: „Zurecht lehnt Gabriel Kapazitätsmärkte als „Hartz IV“ für Kraftwerke ab. Es ist jedoch doppelzüngig, wenn er den Konzernen Milliarden-Subventionen für ihre klimaschädlichen und längst überflüssigen Braunkohlekraftwerke hinterherschmeißen will.“
So sieht das auch Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer. Merkel und Gabriel verlängerten mit dem Gesetzesvorschlag „die Schwindsucht von Konzernen, die die Zukunft der Energiewirtschaft verpasst haben“, sagte er der dpa. Kritisch sei auch, dass die Regierung verschweige, wie hoch die Abwrackprämien für die Kohlemeiler ausfallen. Eva Bulling-Schröter, die Energie-Fachfrau der Linken, warnte: „Falls es sich bestätigen sollte, dass die Kraftwerks-Prämie 800 Millionen Euro jährlich betragen wird, ist das mehr als absurd.“
Eigentlich wollte Gabriel die Kohle-Konzerne mit einer Strafabgabe zum Einsparen von 22 Millionen Tonnen Kohlendioxid (CO2) bis 2020 verdonnern. Der SPD-Chef konnte sich damit aber nicht gegen Union, Gewerkschaften, Kohle-Länder und Industrie durchsetzen.
Bei der Kraftwerksreform setzt er nun auf eine Strompreisbildung möglichst ohne staatliche Eingriffe. Jedoch wird künftig zeitweise mit hohen Preisschwankungen an der Strombörse gerechnet - die Ausschläge nach oben, die im Extremfall mehrere tausend Euro betragen könnten, sollen für Investoren der Anreiz sein, auch weiter Gaskraftwerke zu betreiben.
Kanzlerin Merkel sagte am Mittwoch im Bundestag, der Strommarkt werde zu einem „Strommarkt 2.0“ weiterentwickelt: „Wir haben klare Entscheidungen und damit auch Berechenbarkeit für Investitionen geschaffen, bezüglich des Netzausbaus.“
Die Strommarkt-Reform ist nötig, weil sich durch die rasante Zunahme von Wind- und Solarstrom viele fossile Kraftwerke nicht mehr rechnen. Im Zuge des Atomausstiegs könnte zudem die Versorgungssicherheit gefährdet sein, weil große Stromautobahnen von Nord nach Süd noch nicht gebaut sind. Im Süden Deutschlands sollen einige Gaskraftwerke einspringen, falls es Engpässe im Netz gibt.
Diese Netzreserve wird über Ende 2017 hinaus verlängert und 2022 überprüft - das Instrument soll künftig 80 Millionen Euro im Jahr kosten. Die von den Konzernen erhofften Sonderprämien in einem Kapazitätsmarkt wären aus Sicht der Regierung um ein Vielfaches teurer.