Gesetz darf VW weiter vor feindlichen Übernahmen schützen
Luxemburg/Wolfsburg (dpa) - Das Land Niedersachsen darf Europas größten Autobauer Volkswagen auch künftig mit dem umstrittenen VW-Gesetz gegen feindliche Übernahmen abschirmen.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die Sonderstellung des staatlichen Großaktionärs bestätigt und einen Schlusspunkt hinter die seit gut zehn Jahren laufende Auseinandersetzung gesetzt.
Deutschland müsse den strittigen Passus des Gesetzes nicht ändern und komme um eine drohende Millionenstrafe herum, urteilten die Luxemburger Richter am Dienstag (Rechtssache C-95/12). Für den Bund, das Land und Volkswagen selbst ist es ein Triumph auf ganzer Linie.
Das Gericht wies die entsprechende Klage der EU-Kommission ab.
Auch für die Brüsseler Behörde ist der juristische Zank damit offensichtlich komplett vom Tisch. „Das heutige Urteil hat die Sache zu einem Ende gebracht“, sagte die Sprecherin von Binnenmarktkommissar Michel Barnier. Man habe geklagt, um im Interesse aller Beteiligten eine Klärung zu erzielen. „Das wurde getan. Der Rechtsstreit ist zu Ende, und die Sache ist erledigt.“
Politiker und Arbeitnehmervertreter reagierten erleichtert. „Das ist ein Tag zum Feiern“, sagte VW-Konzernbetriebsratschef Bernd Osterloh. „Das Land Niedersachsen freut sich sehr“, betonte Ministerpräsident und VW-Aufsichtsratsmitglied Stephan Weil (SPD).
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) wertete das Urteil als Sieg der Bundesregierung. „Damit ist die langandauernde Diskussion über den Spielraum, den Deutschland in der Frage des VW-Gesetzes hat, beendet“, erklärte sie laut Mitteilung.
Nach Ansicht der Richter hat die Bundesregierung das VW-Gesetz nach einem früheren EU-Urteil von 2007 bereits „in vollem Umfang“ und rechtzeitig nachgebessert. Damals schaffte sie die beiden Regeln ab, dass Bund und Land je zwei Vertreter im VW-Aufsichtsrat stellten und die Stimmrechte der Aktionäre auf 20 Prozent begrenzt waren.
Die Fortsetzung des Streits drehte sich darum, dass Niedersachsen mit 20 Prozent der VW-Anteile nach wie vor ein Blockaderecht hat. Sonst ist dies im Aktienrecht erst ab einem 25-Prozent-Anteil üblich. Nach der Porsche-Holding ist das Land zweitgrößter Eigner von VW.
Aus Sicht der EU-Kommission widerspricht die bisherige Regelung dem freien Spiel der Kräfte im europäischen Binnenmarkt und schreckt mögliche Investoren ab. Übernahmen würden so verhindert. Daher hatte die Behörde Deutschland erneut verklagt und eine Mindeststrafe von 68 Millionen Euro beantragt. Der EuGH wies das Vorhaben jetzt zurück.
Neben dem VW-Gesetz bestätigten die Richter die VW-Satzung, deren Änderung die EU-Kommission ebenfalls verlangt hatte. Auch sie enthält die Regelungen über das Sperrminorität genannte Blockaderecht.
Zu der Frage, ob die Sperrminorität Niedersachsens für sich genommen gegen EU-Recht verstößt, äußerte sich das Gericht nicht ausdrücklich. Man habe nur untersuchen müssen, ob Deutschland dem geforderten Gesamtpaket von Änderungen nachkam - und nicht, ob jeder Passus aus dem Paket isoliert betrachtet legal ist. Theoretisch ist damit noch immer ein Hintertürchen für weitere Klagen offen.
Regierungschef Weil ist dennoch zuversichtlich, dass das Urteil den Streit endgültig befriedet. „Ich gehe davon aus, dass die EU-Kommission diese Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes als das ansieht, was es ist - nämlich ein Schlussstrich“, sagte er.
Es ist bereits das zweite Urteil des EuGH in dem Fall. Im Oktober 2007 hatte er nach einer ersten Klage der Kommission entschieden, dass das VW-Gesetz geändert werden müsse. Das Gericht sah in drei Punkten eine Verletzung der Freiheit des Kapitalverkehrs in der EU.
Deutschland änderte die monierten Passagen, hielt aber an der Sperrminorität von 20 statt 25 Prozent fest. Berlin argumentierte, der Gerichtshof habe die Sperrminorität nur in Kombination mit der Stimmrechtsbeschränkung beanstandet. Da diese inzwischen aufgehoben sei, sei der Verstoß ausgeräumt. Dem schloss sich der EuGH nun an.
Osterloh lobte die Rolle von Kanzlerin Angela Merkel (CDU): „Sie hat der EU-Kommission erfolgreich die Stirn geboten und damit ein wichtiges Signal für die Zukunft unserer sozialen Marktwirtschaft gesetzt.“
Der CDU-Wirtschaftsexperte Mathias Middelberg nannte auch den früheren niedersächsischen Regierungschef und Bundespräsidenten Christian Wulff (CDU) einen wichtigen Fürsprecher der VW-Sonderregeln. Das Urteil zeige, dass die Landesregierung unter Wulff sowie dessen Nachfolger David McAllister „politisch, aber auch rechtlich alles richtig gemacht“ habe, sagte Middelberg der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. An der Börse kam die Entscheidung der Richter gut an. Die VW-Vorzugsaktie legte in einem positiven Dax-Umfeld zu.