Konjunktur Handel möchte mehr vom Kuchen
Trotz Umsatzplus ist die Branche verunsichert. Herausforderungen durch Online-Handel und Mindestlohn.
Düsseldorf. Eigentlich klingen sie höchst positiv — die Zahlen, die der Einzelhandel für die ersten beiden Jahresmonate meldet: Ein Umsatzplus von 3,4 Prozent nominal. Real, also unter Berücksichtigung der Preissteigerung, sind es sogar vier Prozent. Und doch mag Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands HDE, dem Braten nicht so recht trauen. Für das Gesamtjahr rechnet der Verband nach einer Umfrage unter 1000 Unternehmen nur mit einem Umsatzwachstum von 1,5 Prozent, (preisbereinigt ein Prozent). Das wären gut 466 Milliarden Euro.
Ein nur kleiner Sprung. Und das, obwohl die Rahmenbedingungen für den Konsum günstig sind: Steigende Einkommen und die Tatsache, dass der Verbraucher angesichts des Niedrigzinses kaum Anlass hat, Geld zu sparen. Aber warum kommt es dann nicht in dem Maße im Einzelhandel an, wie dieser sich das wünscht?
Hierfür kann Genth einige Gründen benennen: Zum einen, dass „die Unternehmen sich auf vielfach gesättigten Gütermärkten bewegen und die privaten Haushalte in einem hohen Grade mit Gebrauchsgütern ausgestattet sind.“ Will heißen: Wir leben offenbar in einer Gesellschaft, die schon alles hat. Weil die Menschen aber in besagten Niedrigzinszeiten dennoch ihr Geld ausgeben, muss es in anderen Kassen landen als in denen des Handels.
Genth weiß auch, wo: Verbraucher würden in „hochwertige Konsumgüter wie Fahrzeuge, Immobilien oder auch Reisen investieren“ — Geld, das dann nicht noch mal ausgegeben werden kann. Auch da, wo das Verbraucherbudget klein sei, gebe es Faktoren wie den steigenden Strompreis, der Konsumausgaben hindere.
Und dann ist da die Herausforderung der Digitalisierung. Der Trend, dass die Menschen immer mehr per Mausklick einkaufen. Vor diesem Hintergrund gebe es schon zu denken, dass etwa ein Drittel der Händler hier gar nicht aktiv sei. Genth rät, auch wenn man selbst keine Waren online verkaufe: der Händler solle jedenfalls im Internet auffindbar sein.
Der Online-Handel, so zeigt die Umfrage unter den 1000 Händlern, bleibt auch im laufenden Jahr stärkster Wachstumstreiber der Branche. Während 2014 hier bereits 39 Milliarden Euro umgesetzt wurden, sollen es 2015 mehr als 43 Millionen sein. Im Lebensmittelbereich liegt der prozentuale Anteil noch bei 0,4 Prozent, im Nonfood-Bereich schon bei 18 Prozent.
Beim Thema Mindestlohn scheint es weniger die Zahl von 8,50 Euro zu sein, die den Verbandschef umtreibt. Genth erzählt von einem Händler, der eine halbtags arbeitende Buchhalterin beschäftigt — für etwa 22 Euro Stundenlohn. Die Frau arbeitet mit freier Zeiteinteilung. Und nun müsse der Händler genau dokumentieren, wann sie kommt und wann sie geht. In einem solchen Fall, in dem die Beschäftigte so deutlich über der Mindestlohngrenze liege, seien Dokumentationspflichten unsinnig.
Solcher Kritik hielt NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider (SPD) am Dienstag entgegen: Wegen Umgehungsstrategien von Unternehmen beim Mindestlohn sei es wichtig, dass die Arbeitszeiten von den Unternehmen korrekt erfasst werden. Nur dann habe man den Nachweis, dass korrekt entlohnt wird. Schneider: „Das sind wenige Eintragungen, wie Tag, Arbeitsbeginn, Arbeitsende. Das kann jedes Unternehmen ohne großen Bürokratieaufwand leisten. Die jetzt klagen, sind notorische Gegner. Das sind Nachhutgefechte.“
Auf die Frage, ob denn nicht der Mindestlohn auch eine für den Handel positive Wirkung habe, weil damit die Kaufkraft gesteigert werde, verweist Genth darauf, dass es dazu keine seriöse Berechnung gebe.
Um den Klagen des Handels auch politischen Nachdruck zu verleihen, hat Genth, gestützt auf die Umfrage bei den Handelsunternehmen, auch eine eindrucksvolle Zahl im Gepäck: Der Verband geht davon aus, dass demnächst rund ein Prozent der gut drei Millionen Stellen im Einzelhandel abgebaut werden könnten. Das entspricht etwas 30 000 Arbeitsplätzen. Freilich seien für dieses Szenario nicht allein der Mindestlohn, sondern auch Geschäftsaufgaben im mittelständischen Bereich und der Arbeitsplatzabbau bei einigen Großbetrieben verantwortlich.