Interview mit Timo Wollmershäuser Ifo-Konjunkturchef zur Wirtschaftspolitik der Regierung: "Es mangelt an Ehrgeiz"

Berlin. Ifo-Konjunkturchef Wollmershäuser hält Gabriels Politik für wenig ambitioniert Die schwarz-rote Wirtschaftspolitik sei "wenig wachstumsorientiert". Das war die Botschaft des in der vergangenen Woche veröffentlichten Frühjahrsgutachtens der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute.

Vergangene Woche hatte Timo Wollmershäuser (3.v.l.) und seine Kollegen Heiner Mikosch (l), Oliver Holtemöller (2.v.l), Roland Döhrn (2.v.r) und Ferdinand Fichtner (r) das Frühjahrsgutachten der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute vorgestellt.

Foto: Jörg Carstensen

Gestern hat Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel die Prognose der Bundesregierung präsentiert. Der SPD-Politiker hält die Entwicklung für "durchaus zufriedenstellend". Unser Korrespondent Stefan Vetter sprach darüber mit dem Konjunkturchef des Münchner Ifo-Instituts, Timo Wollmershäuser.

F: Herr Wollmershäuser, mangelt es der Bundesregierung an Ehrgeiz?

A:
Ja, das kann man so sagen. Wir haben derzeit große Handlungsspielräume. Es gibt ordentliche Überschüsse, selbst wenn man von den rein konjunkturell bedingten Mehreinnahmen beziehungsweise Minderausgaben absieht. Aber das ganze Geld wird nicht wirklich wachstumsorientiert verwendet.

F: Was heißt das?

A:
Die beschlossenen Verbesserungen bei der Rente zum Beispiel kosten viel Geld, aber das Wachstum wird damit nicht beflügelt. Dafür muss mehr in Bildung, Forschung und Infrastruktur investiert werden. Eine Umorientierung der Ausgaben zu mehr Investitionen und weniger staatlichem Konsum ist nicht zu erkennen.

F: 1,7 Prozent Wachstum in diesem Jahr - die allermeisten EU-Länder wären froh über einen solchen Wert. Klagen die deutschen Ökonomen da nicht auf hohem Niveau?

A:
Konjunkturell ist die Lage sicher wunderschön. Wir haben Wachstum, ohne dass es zu Überhitzungen kommt. Der Arbeitsmarkt floriert, die Löhne steigen. Aber man muss trotzdem unzufrieden sein, wenn Deutschland auf längere Sicht im Schnitt nur um 1,5 Prozent wächst.

F: Nun argumentiert Gabriel aber, dass die Investitionsquote mit 20,4 Prozent sogar über der OECD-Empfehlung liegt. Wie passt das zusammen?

A:
Ich halte wenig von solchen Angaben. Erstens, weil man nicht genau weiß, was da alles mit gerechnet wurde und nun als Investition daher kommt. Und zum zweiten ist es überhaupt extrem schwierig festzustellen, was das richtige Investitionsniveau ist.

F: Gibt es keinen Maßstab?

A:
Es klingt banal, aber man sollte die Investitionen vornehmen, die notwendig sind. Seit Jahren reden wir über Investitionslücken. Ausbau der Telekommunikationsnetze, Straßen, Schienen und so weiter. Wenn Brücken im Ruhrgebiet marode sind und Lkws deswegen zig Kilometer Umwege fahren müssen, dann nützt auch eine Quote von 20,4 Prozent nichts.

F: Für 2017 wird mit einem Rückgang des Wachstums von 1,7 auf 1,5 Prozent gerechnet. Woran liegt das konkret?

A:
Das ist auf den Kalendereffekt zurückzuführen. Im kommenden Jahr gibt es zwei Feiertage mehr, die auf Arbeitstage fallen. Und wenn wir zwei Tage weniger arbeiten, dann hat das durchaus Folgen für den Umfang des Bruttoinlandsprodukts.

F: Die Politik des billigen Geldes durch die Europäische Zentralbank ist hoch umstritten. Wie stehen Sie dazu?

A: Zunächst gilt es festzuhalten, dass Deutschland die Euro-Krise sehr gut überstanden hat. Das Kapital ist nicht geflohen, sondern zu uns gekommen. Auch das hat zu den niedrigen Zinsen beigetragen. Es ist also nicht nur die Europäische Zentralbank, die dafür verantwortlich ist. Tatsache ist auch, dass die niedrigen Zinsen in Deutschland nicht zu Inflation und irgendwelchen Blasen geführt haben. Also kann dieses Zinsniveau aus konjunktureller Sicht doch gar nicht so unangemessen für Deutschland sein. Auch wenn die Sparer das sicher anders sehen.