Laut IW-Analyse Wie massiv sich die steigenden Energiepreisen bei Verbrauchern auswirken
Köln · Die deutschen Gasspeicher füllen sich langsam. Die Politik hofft, dass Russland den Hahn nicht völlig zudreht - doch teurer wird Energie allemal. Experten haben durchgespielt, was das bedeuten könnte.
Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln rechnet mit erheblichen wirtschaftlichen Auswirkungen durch anhaltend hohe Energiekosten. „Das hohe Preisniveau belastet die Haushalte über hohe Energiekosten und über steigende Verbraucherpreise“, schreiben die Autoren einer aktuellen Analyse, die der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vorliegt. „In Summe steigen die Lebenshaltungskosten substanziell.“
Die Autoren spielen verschiedene Szenarien für steigende Energiepreise durch - beginnend von einem hohen Ausgangsniveau. So habe sich allein der Gaspreis zwischen 2020 und 2021 im Jahresschnitt bereits verfünffacht. Es handelt sich dabei aber nicht um Prognosen sondern vielmehr um mögliche Entwicklungen, betont das Institut.
Erstes Szenario
Im ersten Szenario gehen die Wissenschaftler davon aus, dass sich der Erdgaspreis vom zweiten zum dritten Quartal des laufenden Jahres um 50 Prozent erhöht, zu einer Normalisierung oder Beruhigung käme es erst wieder im Laufe des kommenden Jahres. Ende 2023 wäre der Gaspreis dann immer noch doppelt so hoch wie im Jahresdurchschnitt 2021. Der Ölpreis steigt in dieser Modellrechnung im dritten Quartal des laufenden Jahres leicht um 10 Prozent und fällt im Laufe des Jahres 2023 zurück, läge dann aber immer noch 45 Prozent über dem Jahresdurchschnitt 2021.
Das seien realistische Annahmen, sagt Co-Autor Thomas Obst. So habe es einen ungefähr 50-prozentigen Preisanstieg beim Gas schon einmal von Februar auf März gegeben. Beim Öl nahmen die Experten einen geringeren Preisanstieg an, weil es statt über Pipelines über Schiffe transportiert wird und sich damit leichter ersetzen lässt.
Die Forscher haben verglichen, welche zusätzlichen volkswirtschaftlichen Kosten diese Entwicklungen im Vergleich zu einem Basisszenario mit sich brächten. Im Basisszenario wird ein Rückgang des Gaspreises bis Ende 2023 um etwa ein Drittel und des Ölpreises um etwa ein Fünftel angenommen - jeweils im Vergleich zum Niveau des zweiten Quartals 2022. „Die Lage ist angespannt, aber lösbar“, beschreibt Obst diese Modellrechnung. Fehlendes Gas ließe sich unter diesen Annahmen zum Teil ersetzen, die deutschen Speicher könnten weitgehend aufgefüllt werden. Gleichzeitig würden Industrie und Verbraucher Gas sparen.
Die Folgen für die deutsche Wirtschaft wären im ersten Szenario gegenüber dem Basisszenario deutlich spürbar. Die Inflationsrate würde nach IW-Berechnungen um 0,9 Prozentpunkte im laufenden Jahr klettern und um 1,3 Prozentpunkte im kommenden Jahr. Auch die Wirtschaftsleistung würde leiden: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) fiele im laufenden Jahr um 0,2 Prozent kleiner aus und im kommenden Jahr um 1,3 Prozent - die Inflation haben die Forscher bei diesen Berechnungen herausgerechnet.
Da die Menschen weniger Geld zur Verfügung hätten, würden sie auch deutlich weniger kaufen: Der private Konsum läge 1,1 Prozent unter dem Basisszenario. Die Unternehmen wiederum hätten weniger Geld für Investitionen übrig. Diese sänken 2022 um 0,4 Prozent und 2023 um 3,1 Prozent.
Zweites Szenario
Im zweiten Szenario gehen die Experten von weitaus größerer Unsicherheit bei der Gasversorgung und weiterhin gedrosselten Lieferungen aus. Konkret nehmen sie an, dass sich der Erdgaspreis verdoppelt und 2023 auf diesem Niveau bleibt. Die angenommene Verdopplung des Gaspreises habe sich zuletzt an den den Terminbörsen gezeigt, sagt Obst: Die Preise für Geschäfte mit künftigen Lieferungen, sogenannte Futures, hätten sich sei Mitte Juni ungefähr verdoppelt. Zusätzlich stiege in diesem Szenario der Ölpreis um 30 Prozent. Ende 2023 würde der Gaspreis das Vierfache des Jahresdurchschnitts 2021 betragen. Der Ölpreis läge etwa 72 Prozent über dem Niveau von 2021.
Unter diesen Annahmen wären die Auswirkungen noch ausgeprägter. Die Experten gehen dann von einer im laufenden Jahr um 1 Prozentpunkt und im kommenden Jahr um 4 Prozentpunkte höheren Inflationsrate aus - wiederum im Vergleich zum Basisszenario. Das Bruttoinlandsprodukt fiele den Berechnungen zufolge 2023 um 2 Prozent geringer aus. Insgesamt läge der Verlust an Wirtschaftsleistung bei etwa 70 Milliarden Euro. Die Investitionen würden in diesem und im nächsten Jahr um jeweils 0,4 und 4,2 Prozent einbrechen. Die Arbeitslosenrate könnte sich demnach 2023 um etwas mehr als einen halben Prozentpunkt erhöhen, die Arbeitslosigkeit um über 300.000 Personen steigen.
Zu einer Normalisierung käme es erst wieder 2024. „Normalisierung bedeutet nicht den Rückgang auf das Vorkriegsniveau“, betonte Obst. Er erwarte einen kompletten Umbau der Energieinfrastruktur, etwa durch den Bau von Terminals zum Import von Flüssiggas (LNG). „Das kostet Geld und Zeit, zumal Flüssiggas teurer als Erdgas ist.“ Normalisierung, also ein erneut stabiler Zustand, bedeute in diesem Fall: „Die Unsicherheit würde sich wieder legen, wir wüssten wieder, wo wir unsere Energie herbekommen und gehen davon aus, dass das so bleibt.“
Nicht berücksichtigt in den beiden Szenarien sind mögliche Produktionsausfälle im Falle eines vollständigen Gaslieferstopps, weil dessen Auswirkungen aus IW-Sicht zu komplex und damit kaum in Modellen darstellbar wären.
„Unabhängig davon müssen sich Verbraucher und Produzenten auf anhaltend hohe Preise einstellen“, schreiben die Autoren. „Bisher beschlossene Entlastungspakete können die zu erwartenden Mehrbelastungen nur teilweise auffangen.“
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