IWF und die Wirtschaft fürchten den Brexit

Washington/Berlin/Kiel (dpa) - Kurz vor der Abstimmung über einen Austritt Großbritanniens aus der EU hat der Internationale Währungsfonds (IWF) seine Warnung vor einem Brexit verschärft.

Foto: dpa

Auch die deutsche Wirtschaft malte erneut ein düsteres Bild für viele Unternehmen, sollten die Briten am Donnerstag (23. Juni) gegen den Verbleib in der EU stimmen. Nur gemeinsam „werden wir Europäer in der Welt noch erfolgreich sein können. Sonst versinken wir getrennt in der Bedeutungslosigkeit“, mahnte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Ulrich Grillo, in der „Rheinischen Post“.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble warb am Sonntag in Kiel für den Zusammenhalt in der Europäischen Union, ohne direkt auf die Abstimmung in Großbritannien einzugehen. Kein einzelnes europäisches Land werde alleine in der Welt viel erreichen können, sagte der CDU-Politiker bei der Verleihung des Weltwirtschaftlichen Preises.

Ein IWF-Bericht über den wirtschaftlichen Zustand des Vereinigten Königreichs geht davon aus, dass die Wirtschaftleistung langfristig um bis zu 4,5 Prozentpunkte niedriger liegen würde als bei einem Verbleib in der EU. Für 2017 sehen die Szenarien des IWF sogar einen Rückgang der Wirtschaftleistung vor, sollte der Brexit kommen. IWF-Chefin Christine Lagarde beschwor in einem flammenden Appell die Vorteile des Verbleibs in der Europäischen Union.

Großbritannien sei Teil europäischer Fertigungsketten, etwa in der Auto- und Raumfahrtindustrie, sagte Lagarde am Freitag in Wien. Großbritanniens Handelsvolumen sei durch die Mitgliedschaft in der EU größer geworden, sowohl Löhne als auch Produktivität seien gestiegen. „Großbritannien hat von den viele Beiträgen talentierter und fleißiger Migranten aus aller Welt und auch aus der EU profitiert.“

Auch aus Sicht des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) würde ein Brexit die gesamte Wirtschaft belasten. Jährlich liefere die deutsche Wirtschaft Waren im Wert von etwa 90 Milliarden Euro nach Großbritannien, sagte DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Hierzulande hingen mehr als 750 000 Jobs davon ab. Ein EU-Austritt würde diese Beziehung belasten.

Mehr als die Hälfte der deutschen Unternehmen würden ihre Geschäfte drosseln, zeige eine Umfrage der deutsch-britischen Auslandshandelskammer. Großbritannien sei der größte Direktinvestor in Deutschland, mehr als 200 000 Beschäftigte arbeiteten bei britischen Firmen in Deutschland.

Die IWF-Experten gehen davon aus, dass Großbritannien selbst wirtschaftlicher Hauptverlierer eines Brexit sein würde. „Die hauptsächlichen makroökonomischen Auswirkungen würden Großbritannien betreffen“, sagte ein IWF-Experte. Großbritannien begebe sich in das Abenteuer Brexit trotz der zuletzt günstigeren Daten vom Arbeitsmarkt und beim Wachstum als ein wirtschaftlich angeschlagenes Land.

Nach Meinung des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) würde der ein Austritt die Europäische Union als Ganzes gefährden. „Wenn Großbritannien aus der EU austritt, wird das Zentrifugalkräfte freisetzen und weitere Länder werden dem Beispiel folgen wollen“, sagte BGA-Präsident Anton Börner der „Passauer Neuen Presse“. „Das wäre der Beginn der Auflösung der Europäischen Union.“ Allerdings rechnet Börner fest damit, dass die Briten für einen Verbleib in der EU stimmen werden.

Im Fall eines britischen EU-Austritts würde die Europäische Bankenaufsicht EBA nach Worten ihres Chefs Andrea Enria den Behördensitz in London aufgeben. „Wenn sich die Briten für einen Austritt aus der EU entscheiden, müssten wir tatsächlich in eine andere europäische Hauptstadt umsiedeln“, sagte der aus Italien stammende Bankenaufseher der „Welt am Sonntag“ mit Blick auf die Brexit-Abstimmung an diesem Donnerstag.

Die europäischen Zentralbanken sind nach Worten von Italiens Notenbankpräsident und EZB-Ratsmitglied Ignazio Visco bereit zu handeln. Ein Austritt würde sicher wirtschaftliche Konsequenzen nach sich ziehen. Es sei aber schwierig, das Ausmaß zu beziffern. „Wir behalten das Risiko Tag für Tag im Blick. Und alle Zentralbanken, nicht nur die Europäische Zentralbank, sind bereit mit allen konventionellen Mitteln einzugreifen, die sie haben.“